„Something Rotten!“ schreibt die Musical-Geschichte neu
Der eine ist ein eitler Gockel und bringt als „Will Power – Der Barde“ kreischende Fangirls scharenweise zum Umkippen – der andere ein frustrierter Neidhammel, der mehr schlecht als recht auf den Erfolg seines verhassten Konkurrenten schielt. Wir schreiben das Jahr 1595 und niemand kommt an William Shakespeare, dem größten englischen Dramatiker aller Zeiten, vorbei. Wirklich niemand? Theatermacher Nick Bottom versucht es trotzdem, das Wasser steht ihm finanziell bis zum Hals. Gut, wenn man da zwei Asse im Ärmel hat: Bruder Nigel ist in Sachen Dichtkunst noch begnadeter als Will. Und Wahrsagerin Nancy Nostradamus – Nichte des sagenumwobenen Propheten – wagt den Blick durch die Nebel der Zukunft: Was wird später mal der „heiße Scheiß“ der Theaterwelt? „Muuuusicals!“ Leider stößt ein Testlauf auf wenig Gegenliebe, also darf Nancy gleich nochmal ran: Was wird als Shakespeares größter Hit in die Geschichte eingehen? „Ham … Ham … Omelett!“ Eier?! Na gut. Und Will? Der wird angesichts Nigels Talent nervös und schleust sich selbst inkognito in die Bottom-Kompagnie ein, um seinen eigenen zukünftigen Erfolg „zurückzuklauen“. Bühne frei für „Omelett – Das Musical“!
2015 erblickte „Something Rotten!“ am Broadway das Licht der Bühnenwelt, jetzt zeigt das Landestheater Linz die deutschsprachige Erstaufführung. Die herrlich respektlose Liebeserklärung an das Musical-Genre schrammt schamlos an der Grenze der Gürtellinie – pardon, der Schamkapsel – vorbei, spielt mit Klischees und treibt einem gleichzeitig die Lachtränen vor lauter absurder Wendungen in die Augen. Die amerikanischen Brüder Wayne und Karey Kirckpatrick haben zusammen mit ihrem britischen Co-Autor John O’Farrell ein extrem intelligentes Stück geschaffen, das mit Blick auf ihre Herkunftsorte das Beste beider Musical-Hemisphären vereint. Vom klassischen Broadway-Sound über rockige Elemente bis zum Rap-Schlagabtausch rollt Tom Bitterlich mit seiner Band „The Rotten Eggs“ einen bunten Klangteppich aus.
In diesem „Omelett“ vor lauter Eiern auf Anhieb alle „Easter Eggs“, sprich Anspielungen quer durch die Musical-Geschichte zu finden, ist schier ein Ding der Unmöglichkeit: Von „Les Misérables“, „Cats“ und „West Side Story“ über „Wicked“, „A Chorus Line“, „Annie“ und „Chicago“ bis zu „Phantom der Oper“ und „König der Löwen“ ließe sich die Liste liebevoller Verballhornungen ewig fortsetzen – vom naturgemäß omnipräsenten Shakespeare-Kosmos ganz zu schweigen. Überlebt so ein Stück den Weg durch die Übersetzerwerkstatt? Natürlich hat das Original mit seinem englischen Sprachwitz eine Sonderstellung inne, aber die deutsche Fassung von Roman Hinze und Niklas Wagner ist eine Meisterleistung für sich, die mit dem Sprach-Clash von Renaissance und Gegenwart unterhaltsam jongliert.
Dasselbe lässt sich von der Cast sagen. Allein schon Gernot Romics Mimik als Nick Bottom ist zum Schießen, sein Kontrahent Will wird von Christian Fröhlich cool durch das eintönige „Schicksal“ eines Popstars manövriert („Der Barde sein ist hart, Baby“). Lukas Sandmanns Nigel ist ein feinsinniger, verträumter Romantiker, der gerne mal vor Aufregung hyperventiliert – sein Gegenstück findet er in der nerdigen Literatur-Liebhaberin Portia (Valerie Luksch). Wenn dann noch die schrullig-verquere Nancy Nostradamus (Daniela Dett) durchs Geschehen wandelt, Nicks Frau Bea (Sanne Mieloo) eine Lanze für das wahre starke Geschlecht bricht und der staubtrockene Puritaner-Bruder Jeremiah (Karsten Kenzel) gegen den „Sündenpfuhl“ Theater wettert, ist klar: „Something Rotten!“ zieht seine Energie aus originellen Charakteren voller Lust und Laune, die allesamt Rhythmus im Blut haben.
Und das Regieteam? Regisseur Matthias Davids navigiert das Ensemble mit leichter Hand durch das skurrile Geschehen, Choreografin Kim Duddy lässt die Dance-Break-Tradition launig hochleben. Andrew D. Edwards hat dafür eine schlichte Holzfassade gebaut, die Shakespeares Globe Theatre nachempfunden und mit Adam Nees Renaissance-Kostümen garniert ist – der ein oder andere Anachronismus inklusive. Und Shakespeare? Würde er sich im Grabe umdrehen? Sicher – wen hält es schon auf den Sitzen nach so einem Abend!
Musikalische Leitung: Tom Bitterlich • Choreografie: Kim Duddy • Bühne: Andrew D. Edwards • Kostüme: Adam Nee • Licht: Michael Grundner • Mit: Gernot Romic (Nick Bottom), Lukas Sandmann (Nigel Bottom), Sanne Mieloo (Bea Bottom), Valerie Luksch (Portia), Christian Fröhlich (William Shakespeare), Daniela Dett (Nancy Nostradamus), Karsten Kenzel (Bruder Jeremiah), Enrico Treuse (Spielmann/Robin u.a.), Alexandra-Yoana Alexandrova (Lady Clapham/Richter u.a.), Max Niemeyer (Shylock u.a.) u.a. • Band „The Rotten Eggs“
Aufmacherfoto: Reinhard Winkler