Der opulent orchestrierte Gershwin-Klassiker „Strike Up The Band“
Das immer findige Landestheater Linz wartet diesmal mit einer besonderen Entdeckung auf: „Strike Up The Band“, eine Gershwin-Satire von 1927 und seitdem so gut wie nie gespielt. Obwohl: 1927 ist nicht ganz richtig. Damals verendete die Show auf ihrer Tryout-Tour in Philadelphia, das Publikum zeigte sich einfach nicht interessiert und im Cast herrschte bald ein Kommen und Gehen. 1930 folgte der zweite Versuch: Das damals populäre Komiker-Duo Bobby Clark und Paul McCullough als Zugpferde, ein etwas weniger scharfes Buch (Morrie Ryskind übernahm von George S. Kaufman) und ein veränderter Score mit zwei neuen Hits – das sollte für 191 Broadway-Aufführungen reichen.
Wie in der New Yorker „Encores!“-Serie 1998 beschränkt sich auch Linz auf eine halbszenische Aufführung, allerdings mit Kostümen und einem Trumpf-Ass: ein 46-köpfiges Orchester, davon 31 Streichinstrumente! Tom Bitterlich als musikalischer Leiter sorgt für einen Klangteppich, den diese Show wahrscheinlich nirgends auf der Welt mehr erhalten wird.
Die Idee von Regisseur Matthias Davids, die Handlung mittels einer Erzählerin (Daniela Dett) zu vermitteln, hat mehr Vor- als Nachteile. Leider gehen aber einige von Kaufmans bitterbösen Gags verloren, dafür bleiben ewig lange Textpassagen aus und Ira Gershwins Gesangstexte (von Roman Hinze nah am Original übersetzt) machen die Handlung ohnehin klar. Zwar gilt Kaufman zurecht als einer der größten Playwriter Amerikas, doch die Gershwin-Lieder stellen heute die Hauptattraktion dar. Auch wenn sich Linz am Buch von 1927 orientiert, fischen Davids und Bitterlich in beiden Welten: „The Man I Love“ (für 1930 gestrichen) bleibt erhalten, zwei weitere Hits der späteren Version („Soon“ und das swingende „I’ve Got a Crush On You“) kommen dazu. Und darüber hinaus natürlich der aufrührende Titel-Marsch – das macht vier Hits, außerdem versuchten sich die Gershwin erstmals in Gilbert-und-Sullivan-ähnlichen Patter-Songs: Was für ein Score!
Die Handlung selbst? Eine bitterböse Satire, die die oft nichtigen Gründe und Profiteure für und von Kriegen an den Pranger stellt. Die Geschäfte von Käsefabrikant Horace J. Fletcher gehen gut, hat doch die Regierung einen 50-Prozent-Zoll auf importierte Milchprodukte eingeführt. Doch ein Land schert aus: Österreich (im Original die Schweiz) protestiert, Fletcher drängt die US-Regierung mittels des zwielichtigen Präsidentenberaters Colonel Holmes in den Krieg. Der Konflikt findet dann in den Alpen statt (die dortige Hotelier-Vereinigung bietet günstige Preise an), endet aber ohne große Auseinandersetzungen, weil sich Fletchers Manager Sloane (Christian Fröhlich) als Spion entpuppt, der noch dazu Fletchers Käse jahrelang gepanscht hatte. Aber egal, es steht ja schon wieder der nächste Krieg (diesmal mit Frankreich wegen des Rotweins) ins Haus. Knapp zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ein ziemlich galliger Stoff, der aber auch eher gewohnte Elemente aus der damaligen Welt des Comedy Musicals enthält: Gleich zwei jugendliche Paare dürfen die Balladen singen. Dabei versprüht vor allem Valerie Luksch als Fletchers Tochter Joan den Sopran-Stil der 20er Jahre, Gernot Romic ist als das ganze Komplott aufdeckender Journalist Jim Townsend rollendeckend aufgeweckt. Das zweite Paar – Cornelia Mooswalder als Ann Draper und Lukas Sandmann als Vorarbeiter Timothy Harper – wäre im Original für die (hier entfallenen) tänzerischen Elemente zuständig gewesen, darf sich aber mit „Ich bin verknallt in dich“ trösten. Die starke Besetzung rundet Karsten Kenzel als Fletcher ab, einzig Max Niemeyer als Holmes wirkt etwas eintönig. Comedy-Elemente liegen auch in der Hand von Lynsey Thurgar als fahrige Witwe Grace Draper und Enrico Treuse als Harpo-Marx-artigem George Spelvin, dem allerdings sein einziger Song („Yankee Doodle Rhythm“) gestrichen wurde.
Sowohl Hinzes deutsches Buch als auch die Kostüme (Richard Stockinger) wabern zwischen 1927 und heute herum – ein Beweis, wie sehr Kaufmans Buch noch Bedeutung hat. Zwar ist die Show heute völlig unbekannt und lockt wohl nur Musicalkenner neben dem Abo-Publikum an – Linz leistet mit dieser Exhumierung eines Genre-Klassikers aber wichtige und vor allem professionelle Pionierarbeit.
Musikalische Leitung: Tom Bitterlich • Choreografie: Hannah Moana Paul • Bühne: Aleksander Kaplun • Kostüme: Richard Stockinger • Video: Paul Eckschlager • Grafik: Aleksander Kaplun und Paul Eckschlager • Licht: Simon Wagner • Chor: Elena Pierini • Mit: Daniela Dett (Erzählerin), Karsten Kenzel (Horace J. Fletcher), Valerie Luksch (Joan Fletcher), Gernot Romic (Jim Townsend), Lynsey Thurgar (Mrs. Draper), Cornelia Mooswalder (Ann Draper), Lukas Sandmann (Timothy Harper), Max Niemeyer (Colonel Holmes), Christian Fröhlich (C. Edgar Sloane), Enrico Treuse (George Spelvin) • Chor des Landestheaters Linz • Bruckner Orchester Linz
Aufmacherfoto: Reinhard Winkler