„Wonderland“ im Musiktheater Linz
Das Linzer Musiktheater startet mit „Wonderland“ in eine neue Musical-Saison und präsentiert eine schrille Revue nach der Buchvorlage von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Was genau fasziniert an einem weißen Kaninchen, einer Grinsekatze oder einem verrückten Hutmacher? Warum begeistert uns ein Kinderbuch aus dem 19. Jahrhundert dermaßen, dass basierend auf diesem Stoff Opern, Operetten, Musicals und circa 60 Verfilmungen ihr Publikum gefunden haben und weiterhin finden?
Über diese Fragen zu Lewis Carrolls Buch „Alice im Wunderland“ haben sich bereits zahlreiche Experten den Kopf zerbrochen. Das Spiel mit Absurdität und Nonsens, das Aufbrechen strikter Regeln und die Kritik an willkürlicher Macht, sowie die kuriosen Wortspiele und Rätsel, bieten Stoff, aus dem Fantasie gewoben wird. Carroll selbst soll übrigens ein knochentrockener Lehrer gewesen sein, dem es jedoch immer gelang, für Kinder eine kunterbunte Welt zu erschaffen. Und auch Erwachsene werden gerne von dem „Alice im Wunderland“-Virus angesteckt und springen begeistert in ein Rabbit Hole.
Das Musiktheater Linz greift in dieser Saison das Thema mit „Wonderland“ des US-amerikanischen Komponisten Frank Wildhorn auf und bietet mit der Umsetzung des Musicals eine deutschsprachige Erstaufführung. Eine mutige Entscheidung, denn dem Stück, das 2009 in Tampa uraufgeführt wurde, blieb der Erfolg versagt, es wurde nach seiner Übersiedlung an den Broadway rasch abgesetzt. Der Inhalt greift auf das Original zurück, für diese Fassung jedoch modernisiert: Alice arbeitet in einer Computerspielefirma namens Everheart, lebt von ihrem Ehemann getrennt und kämpft als Mutter einer halbwüchsigen Tochter mit den üblichen Alltagsproblemen. Als ihre erfolgsgetriebene Chefin ein anspruchsvolles Projekt vergibt, schläft Alice überfordert im Büro ein und verliert sich in einem Traum. Dort erlebt sie eine Reise ins Wunderland, begegnet ihrem jüngeren Ich und begibt sich auf die Suche nach dem Sinn ihres Lebens. Auf dem wilden Ritt wird sie von einem Kaninchen begleitet, trifft auf die Grinsekatze und die Herzkönigin, nimmt an der Teeparty teil und muss sich vor dem Verrückten Hutmacher in Sicherheit bringen. Aus dem Traum erwacht, weiß sie sofort, was zu tun ist: Sie will sich in Zukunft mehr um ihr Kind kümmern und versöhnt sich mit ihrem Exmann.
Ensemble und Protagonisten kämpfen sich engagiert durch den Abend. Leider fehlen große musikalische Ohrwürmer, aber es gibt schön angelegte Swing-Nummern, und Rock-, Funk- und Soulklänge tönen durch das Haus. Beherzt greifen die Musiker der Club-Wonderland-Band unter der Leitung von Tom Bitterlich in die Saiten und Tasten. Das Orchester ist in einer Szene für das Publikum gut sichtbar, weil es aus dem Orchestergraben auf Bühnenhöhe gefahren wird. Absolute Hauptdarsteller des Abends sind jedoch die fantasievollen und sehr aufwendig gearbeiteten Kostüme von Adam Nee, die man nicht aufhören möchte zu bestaunen. Damit füllen sich auch „Leerläufe“, wenn das Stück trotz der temporeichen Inszenierung von Christoph Drewitz nicht so recht zündet, obwohl dieser mit flotten Szenenwechseln und komödiantischen Einfällen stets versucht, Schwung in die Sache zu bringen.
Valerie Luksch ist als Alice vielbeschäftigt, steht fast ständig auf der Bühne und bewältigt diese Herausforderung stimmlich wie körperlich hervorragend. Ihr jugendliches Pendant wird von der 13-jährigen Helena Unger bravourös dargestellt. Sehr komisch präsentiert sich der „Held“, der sich Alice als Begleiter auf ihrer wundersamen Reise empfiehlt und im wirklichen Leben ihr Exmann Jack ist. Max Niemeyer agiert urkomisch, stimmlich bestens disponiert. Ähnlich brilliert die stimmgewaltige Sanne Mieloo als Verrückter Hutmacher in einem sehr ansprechenden Kostüm. Daniela Dett ist eine originelle Herzkönigin, die bemerkenswert in ihrem Hofstaat wütet und gemeinsam mit ihrem Gefolge sicherlich das feinste Outfit tragen darf. Liebenswert hoppelt Christian Fröhlich durch das Wunderland und steht Alice treu zur Seite. Kaum hat die ihren Traum beendet und sich für einen Neustart im Leben entschieden, endet das Stück. Ewas abrupt. Nichtsdestotrotz ist das Publikum hingerissen und entscheidet sich rasch für Standing Ovations.
Musikalische Leitung: Tom Bitterlich · Choreografie: David Hartland · Bühnenbild: Andrew D. Edwards · Kostüme: Adam Nee · Darsteller: Valerie Luksch (Alice), Helena Unger (Junge Alice), Daniela Dett (Herzkönigin), Sanne Mieloo (Verrückter Hutmacher), Max Niemeyer (Jack), Christian Fröhlich (Kaninchen), u. a.
Aufmacherfoto: Herwig Prammer