In Cole Porters „Anything Goes“ wird gesteppt, was das Zeug hält
„Verrückt, irrsinnig, effektvoll, witzig, total überdreht“ – so urteilte die Presse nach der Uraufführung am 21. November 1934 im Alvin Theatre New York über Cole Porters „Anything Goes“. Angesichts der Wirtschaftskrise des Depressionsjahres 1934, in dem der Dollar 60 Prozent seines Wertes verlor, schien diese überdrehte Show den Nerv des Publikums zu treffen, das sich nach Ablenkung von den Problemen und Katastrophen der Wirklichkeit sehnte. Mit Ausnahme des Dollarkurses hat sich 90 Jahre später leider nicht viel verändert, sodass es eine kluge Entscheidung des Theaters Magdeburg ist, „Anything Goes“ in den Spielplan zu nehmen und den Luxusliner S.S. America vor Anker gehen zu lassen. Melissa King gibt dem Spektakel Konturen und schafft mit dem Ensemble ein theatralisches Ereignis, das die Zuschauer am Ende der fast dreistündigen Aufführung von den Sitzen reißt.
Gespielt und gesungen wird in der deutschen Übertragung von Niklas Wagner und Roman Hinze: pointiert im ersten Akt, im zweiten dann eher feinnervig im Stil der Screwball-Comedies, die damals die Leinwände eroberten. Mit viel Hintersinn lässt King die Dialoge sprechen. Die obskure Reisegesellschaft auf einem vermeintlichen Luxusdampfer, der eher eine Schrottkiste ist (Bühne: Knut Hetzer), wird im Laufe ihrer Fahrt von New York nach England ziemlich durcheinander gewürfelt; am Ende ist nichts, wie es am Anfang war.
Ein englischer Adliger, der die Tochter einer finanziell angeschlagenen amerikanischen Witwe heiraten soll, ein Gangsterpaar auf der Flucht vor dem FBI, ein blinder Passagier, der wegen der vermeintlichen „Millionenerbin“ an Bord ist, aber von einer ehemaligen Laienpredigerin begehrt wird, die eine Karriere als Nachtclubsängerin starten will – und dann noch ein jovialer Börsenmakler, der dem Whiskey frönt und seiner alten Liebe wieder begegnet. Die Buchautoren, gleich sechs an der Zahl, haben diese Irrungen und Wirrungen so herrlich auf die Bühne gebracht, dass die Show, wo immer sie auch gespielt wird, zum Publikumsrenner wird und Cole Porters Musik in den Musical-Olymp aufgestiegen ist.
Paweł Popławski ist der musikalische Chef des Abends. Schon zur Ouvertüre erklingt mit der Magdeburger Philharmonie der Sound der 30er Jahre und damit die Erinnerung an Zeiten, da die Schellackplatte das Nonplusultra der technischen Innovation war. Nie wird der Gesang durch das Orchester überdeckt. Sophie Berner ist nicht nur attraktiv, sie verleiht ihrer Nachtclubsängerin Reno Sweeney auch Eleganz und Charme, mit denen sie intelligent-sympathisch um ihre langjährige Liebe Billy Crocker buhlt. „Ich bin nach dir ganz verrückt“ („I get a Kick Out of You“) und das Tanzduett „You’re the Top“ sind nur zwei Beispiele der überbordenden Porter-Musik, die ins Ohr und in die Beine geht.
Jörn-Felix Alt zeigt als Billy Crocker eine überwältigende Bühnenpräsenz. Der als blinder Passagier Gejagte wird zum Jäger, wenn es um seine Liebe zur „Millionenerbin“ Hope Harcourt geht. Exemplarisch zeigt Alt die hohe Schule des Boulevards und bringt dazu eine Körperlichkeit in sein Spiel, die ihn zu einem Mittelpunkt der Aufführung macht. Elvire Beekhuizen als Hope ist die Braut, die sich am Ende doch traut. Darüber ist dann der Lord nicht unglücklich: Als etwas tapsig-verklemmter Evelyn Oakleigh reißt Benjamin Sommerfeld das Publikum zu Lachsalven und Beifallsstürmen hin. Tom Zahner als Moonface Martin und Samantha Turton als Erma sind eine gelungene Parodie auf das Gangstermilieu. Undine Dreißig als Evangeline Harcourt mit viel Mutterwitz und Kalkül nebst Manfred Wulfert als trinkfestem Börsenspekulanten Elisha Whitney vervollständigen ein spielfreudiges Ensemble, das von Judith Peter stilsicher und mit einem Kick Exaltiertheit eingekleidet wurde.
Doch was wäre dieses Cole-Porter-Musical ohne die großartigen Choreografien von Melissa King: Hier wird gesteppt, was das Zeug hält! „Anything Goes“ ist ein Abend, der lange nachhallt beim Publikum und Stadtgespräch in Magdeburg bleibt.
Musikalische Leitung: Paweł Popławski • Regie und Choreografie: Melissa King • Bühne: Knut Hetzer • Kostüme: Judith Peter • Chor: Martin Wagner • Mit: Sophie Berner (Reno Sweeney), Elvire Beekhuizen (Hope Harcourt), Undine Dreißig (Evangeline Harcourt), Benjamin Sommerfeld (Lord Evelyn Oakleigh), Manfred Wulfert (Elisha Whitney), Jörn-Felix Alt (Billy Crocker), Tom Zahner (Moonface Martin), Samantha Turton (Erma), Peter Diebschlag (Spit), Thomas Matz (Dippy), Frank Heinrich (Kapitän), Saemchan Lee (Chefsteward), Bettina Wenzel (Fred), Olli Rasanen (Henry T. Dobson) u.a. • Opernchor und Ballett des Theaters Magdeburg • Magdeburgische Philharmonie
Aufmacherfoto: Nilz Böhme