„My Fair Lady“ wird einer Generalsanierung unterzogen
Prof. Henry Higgins (Mark Seibert) lernt Eliza Doolittle (Anna Rosa Döller) als Punk mit grünen Haaren kennen – nicht auf dem Markt, sondern in der Londoner U-Bahn. Sie spricht tiefstes Wienerisch, Higgins will ihr akzentfreies Hochdeutsch beibringen. Eliza lässt sich darauf ein, um ihre Chancen in der Gesellschaft zu verbessern, da sie ein Restaurant eröffnen möchte. Ihren Sprachunterricht will sie selbst bezahlen, ein Statement der Selbstbestimmtheit und Emanzipation.
Durch eine Reihe von Adaptionen (auch bei den Songtexten) ist Autor Johannes Glück gemeinsam mit Regisseur Simon Eichenberger eine authentische Modernisierung des Klassikers gelungen: erfrischend, witzig und absolut notwendig. Da träumt Eliza davon, der Queen Gulasch zu servieren, da ist von Emojis, einem Sugar Daddy oder von Hanfzüchtung die Rede. Als ihr Herkunftsort wird „East-Simmering“ genannt – es gibt einen ganzen Reigen an Anspielungen, auch auf die österreichische Politik. Mit seiner detaillierten Personenregie gelingt es Eichenberger, die Inszenierung zwischen Hommage und Persiflage auf Milieus, Geschlechterrollen, Bildungssystem und Erziehung changieren zu lassen. Außerdem zeichnet er für die temporeichen und präzisen Choreografien verantwortlich.
Das monumentale Bühnenbild von Walter Vogelweider lässt staunen: eine ganze Londoner U-Bahn-Station inklusive Projektionen fahrender U-Bahnen, eine Kneipe, das moderne Penthouse von Prof. Higgins mit einem immer wieder zum Leben erwachenden LED-Gemälde der Queen, alles links und rechts flankiert von Hochhäusern mit Spiegelungen bekannter Londoner Gebäude, während im Hintergrund der Big Ben über der Londoner Silhouette im Neusiedler See steht – eine ausgesprochen stimmige Spannung zwischen kolossal und detailliert. Die Kostüme von Claudio Pohle überzeugen als moderne und zugleich zeitlose Mischung, die augenzwinkernd auch vor schrillen Anzügen nicht zurückschreckt, in ihrer Gesamtheit unverkennbar britisch. Liebe zum Detail beweist Pohle auch, wenn Eliza in Anlehnung an das ikonische weiß-schwarze Spitzenkleid aus der Verfilmung mit Audrey Hepburn in Mörbisch einen Hosenanzug aus Spitze trägt, ebenfalls in weiß-schwarz, um bunte Blumen ergänzt.
Die Besetzung begeistert von den Hauptpartien bis zu den Nebenrollen. Allen voran: Anna Rosa Döller, die von der aufmüpfigen Punk-Göre bis zur Society-Dame eine äußert glaubhafte und wandlungsfähige Eliza liefert, stimmlich wie schauspielerisch, zwischen klaren Höhen und verruchten Tiefen. Mark Seibert präsentiert Higgins als facettenreiche Melange aus witzig, narzisstisch, zynisch, aber auch unsicher und in Summe trotz allem liebenswürdig. Mit seiner charaktervollen Stimme trifft er die feinen Nuancen und gibt Higgins die nötige Tiefe. Dessen Wertesystem und Geduld werden auch von Shlomit Butbul als strenger Haushälterin Mrs. Pearce und von Marika Lichter als Higgins’ Mutter immer wieder auf die Probe gestellt – beide spielen wunderbar amüsant und vielseitig. Ein echtes Highlight ist Dolores Schmidinger als liebevolle Queen, die auch mal den ein oder anderen Ratschlag parat hat. Dem spielfreudigen Herbert Steinböck als dauerbetrunkenen Vater von Eliza kann man nicht mal dann böse sein, wenn er seine Tochter zu verschachern droht. Ramin Dustdar als Oberst Pickering und Dominik Hees als Elizas enthusiastischer Nebenbuhler Freddy Eynsford-Hill spielen angenehm unaufgeregt und setzen gleichzeitig eigene Akzente.
Zusammengeführt und abgerundet wird alles vom musikalischen Leiter Michael Schnack, der mit seinem spielfreudigen Orchester einen vollen Klang über die Bühne wehen lässt, abwechslungsreich und schön ausdifferenziert. Das alles ist so anders, so britisch und unbritisch zugleich und vor allem so überzeugend, dass man meinen könnte, London liegt am Neusiedler See.
Musikalische Leitung: Michael Schnack • Regie und Choreografie: Simon Eichenberger • Bühne: Walter Vogelweider • Kostüme: Claudio Pohle • Licht: Stephanie Erb • Mit: Anna Rosa Döller (Eliza Doolittle), Mark Seibert (Prof. Henry Higgins), Herbert Steinböck (Alfred P. Doolittle), Ramin Dustdar (Oberst Hugh Pickering), Dominik Hees (Freddy Eynsford-Hill), Marika Lichter (Mrs. Higgins), Shlomit Butbul (Mrs. Pearce), Dolores Schmidinger (Queen Elizabeth) u.a.
Aufmacherfoto: Kurt Pinter Photography