„Wo der Weg hingeht, war mir immer ganz egal.“
(„Hinterm Mond“, 2022)
Zeilen, die man kaum jemandem glauben würde. AnNa R. schon. Hat man ihre Karriere nach dem Aus von Rosenstolz 2012 weiterverfolgt, erlebte man eine eher stille, reflektierte, in sich gekehrte Künstlerin. Einen Menschen, der allen Stolpersteinen zum Trotz vom Geheimtipp-Status aus die Spitze des deutschen Pop-Olymps erklommen hatte, über die Maßen erfolgreich war, aber doch nie erfolgsverwöhnt. AnNa blieb sie selbst, abseits der ganz großen Stadien konnte sie es endlich wieder mehr denn je sein. Oft wirkte sie auf den ersten Blick wachsam, introvertiert, abwehrend. Keine typischen Eigenschaften für eine Sängerin im Rampenlicht der Musikindustrie. Vielleicht liebten sie ihre Fans gerade deswegen – weil das, was sie mit ihrer unverwechselbaren Stimme von sich preisgab, umso wahrhaftiger wirkte. Ihr Verlust trifft mich unendlich.
Im Sommer 2006 hat mich das Rosenstolz-Fieber gepackt. Ich war nicht mal 15, ein Teenager auf dem Dorf, voller Sehnsucht nach der ersten großen Liebe, auf der Suche nach mir selbst, Freunde fürs Leben an meiner Seite, aber auch die ständige Angst vor Mobbing. „Das große Leben“, die Abenteuer und Herausforderungen des Erwachsenseins: alles Neuland, aufregend, aber auch beängstigend. AnNa und Peter haben mich mit ihren Songs ab dann immer begleitet – Musik als Seelenwärmer, ob es mir nun gerade gut ging oder nicht.
Rosenstolz, das war mehr, als sich in einfache Worte fassen lässt: Herzzerreißende Melancholie. Frivoler „Mondän-Pop“. Eine Feier des Lebens. Sexuelles Augenzwinkern. Selbstschutz und Selbstliebe. Der Mut, sich treu zu sein. Und immer die Freiheit zu lieben, wen man verdammt noch mal eben lieben will! Liebe ist alles – AnNa hat das mit ihrer unnachahmlichen Art in tausend Töne gegossen. Ihre Stimme konnte unendlich zerbrechlich wirken und dann wieder voller Trotz und Kanten den Schmerz dieser Welt hinausschreien.
Diese Gabe teilte sie auch nach dem offiziell als „Pause“ deklarierten Ende von Rosenstolz mit ihren Fans. Ihre neue Band Gleis 8 war so etwas wie eine Erdung, nicht nur in musikalischer Hinsicht: alles eine Nummer intimer und persönlicher, ohne den Druck der inzwischen überlebensgroßen Marke „Rosenstolz“. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir aber ein Konzert im Alten Schlachthof Dresden mit der Ostrock-Band Silly, für die AnNa ab 2019 einige Jahre gemeinsam mit Julia Neigel als Gastsängerin aktiv war. Julias Rockröhre im Wechselspiel mit AnNa, das war wie das Aufeinanderprallen von Tag und Nacht – eines dieser flüchtigen Live-Erlebnisse, die sich nicht wiederholen lassen.
Erst vor zwei Jahren läutete AnNa mit ihrem ersten Soloalbum „König:In“ eine neue Ära ein. Unter eigenem Namen aufzutreten, ist ihr nicht leichtgefallen, sie war immer eine Teamplayerin. Ihren Bekanntheitsgrad nutzte sie trotzdem schon längst: als Botschafterin der Berliner Aids-Hilfe, als Kämpferin für die Rechte der queeren Community, mit ausgewählten politischen Statements in ihren Songs. Nur wenige Wochen nach ihrem Tod wäre sie Poetikdozentin in Koblenz geworden – ein neues Kapitel einer außergewöhnlichen Karriere, das sie leider nicht mehr aufschlagen durfte.
Was bleibt, ist AnNas Musik. Und die Erkenntnis, wie vielen Menschen sie in den fast 35 Jahren seit der Rosenstolz-Gründung 1991 Kraft und Mut geschenkt hat. Kurz nach ihrem Tod Mitte März stürmten ihre Lieder und Alben plötzlich wieder die Charts. „Ich wollte gehört werden, nicht unbedingt bewundert“, hat sie einmal gesagt. Das ist ihr gelungen. Danke für alles, liebe AnNa – ich wünsch Dir eine gute Reise!
„Ich küss die Lichter für Dich aus
Im Dunkeln wirst Du viel mehr sehn
Und Du kannst schweigen
Werd jede Träne verstehn
Ich schalt die Stadt für Dich auf still
Die Ruhe lässt uns viel mehr hörn
Du musst nichts sagen
Werd das Septembergrau zerstörn.“
(Rosenstolz – „Septembergrau“, 2000)
Foto: Baumgarten/JENPICTURES
Dieser Artikel ist auch in unserer Print-Ausgabe 02/2025 erschienen.