Andrew Lloyd Webbers Rock Opera „Jesus Christ Superstar“ leuchtet im Vatikanstaat dezent regenbogenbunt
Das Erstlingswerk aus der Erfolgswerkstatt von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice ist fast schon erschreckend zeitlos. Auch 50 Jahre nach seiner Uraufführung kann und will man sich dem herrlich flower-gepowerten Elan der konsequent durchkomponierten Rock Opera nicht entziehen. „What’s The Buzz“ – raffiniert verschmelzen Jazz, Pop, Rock und kleine Dosen atonaler Phrasen in dem Superstar-Sound und den Songs, die sich mal wieder tagelang als Ohrwürmer einnisten.
In der vorösterlichen Primetime schöpft Nürnberg mit einem hinreißenden „Jesus Christ Superstar“ gekonnt aus dem Vollen. Gewinnbringend für ein altersmäßig bunt gemischtes Publikum treffen auf hohem Level versierte Musical-Theaterschaffende im Namen des Herrn zusammen. Neben Gastsolistinnen und -solisten wie u.a. Dorina Garuci als selbstbewusste Maria Magdalena sind auch Studierende der Bayerischen Theaterakademie August Everding involviert, um die Bühne gewaltig zu rocken und den modernen Klassiker betörend zu bebildern (Momme Hinrichs), ihn thematisch wie stimmlich überzeugend in ein heutiges Gewand (Kostüme: Aleksandra Kica) zu kleiden. Ein Glücksfall ist zudem die mit Verve und Bläser-Drive agierende „Jesus-Band“ unter der musikalischen Leitung von Jürgen Grimm, der auch die melancholisch-lyrischen Momente funkeln lässt.
Regisseur Andreas Gergen ließ sich nicht zuletzt durch die Lektüre von Dostojewskis Erzählung „Der Großinquisitor“ zu einem naheliegenden Gedankenspiel inspirieren: Gibt es angesichts der hausgemachten Dauerkrisen und -skandale innerhalb der Kirche(n) eine eindeutige Antwort auf die theatralisch formulierte „Was wäre, wenn …“-Frage? Man stelle sich vor, dass Jesus rund 2.000 Jahre nach seinem Tod für die Menschen zurückkehrt, um im Vatikan bei seinem „Bodenpersonal“ nach dem Rechten zu schauen, Galionsfigur und Lichtgestalt einer ja auch real existierenden Protestbewegung à la Maria 2.0 wäre? Was, wenn der christliche Urgedanke des neuen Testaments, wenn Glaube, Liebe, Hoffnung und insbesondere Toleranz für jegliche von der kirchlichen „Norm“ Abweichende die rigiden Machtspiele und starren Strukturen kirchlicher Institutionen ablösten? Was, wenn wie hier im emotional ergreifenden und nur ganz leicht kitschigen Finale der Sohn von Jesus und Maria Magdalena die Versöhnung ganz konkret in die Hand nimmt und alles Trennende mit der christlichen Mission „Gott ist die Liebe“ überbrückt, das väterliche Gen(ie) und Erbe in die Zukunft hinein wahrt? Wohl zu schön, um wahr zu werden, aber im Theater muss das Träumen, müssen Visionen erlaubt sein!
Konsequent spielen diese letzten Tage von Jesus direkt in Rom rund um den Petersplatz. Den ursprünglich jüdischen als auch römischen Entscheidungsträgern sind Ämter in der Vatikan-Hierarchie zugeordnet. Kaiphas und Annas sind Kardinäle, Pontius Pilatus – dessen innere Zerrissenheit Marc Clear exquisit verkörpert – ist Sekretär der Glaubenskongregation, Herodes (Hans Kittelmann) mutiert zum Papst.
Die Intensität jeder „Jesus Christ“-Inszenierung steht und fällt in erster Linie mit der Besetzung der zentralen Protagonisten, mit der Intensität, die Jesus und Judas in ihrer spannungsreichen Beziehung aufbauen können. Gepriesen sei der Musicalgott, der das erst 25 Jahre alte Megatalent Lukas Mayer auf die Erde entsendet hat, um den sanftmütigen, eher unfreiwilligen Superstar mit einer derartigen darstellerischen Aura auf die Bühne zu stellen! Rein äußerlich (auch ohne Maske) scheint er schon der „ideale“ Jesus. Mit Sensibilität und Sinnlichkeit nähert er sich dieser so menschlichen Figur, formte sie gänzlich frei von jeglicher Helden-Attitüde oder Arroganz, macht insbesondere Zweifel, Ängste und das Leiden im Wissen um das tödliche, göttlich auferlegte Schicksal transparent. Virtuos bringt Mayer seine farbenreiche, fein balancierte Stimme ins dynamische Spiel, das gekonnt und mit der Kreuzigung auch die Grenzen des Fassbaren abtastet und am Ende mit einhelligem Jubel der Zuschauer honoriert wird. Der gilt nicht minder auch Til Ormeloh, der seinen Judas auf konstant hoher Flamme präsent hält, den Zuneigung, Scham und Schuld zu Höchstleistung antreiben und der mit Rockröhre die Höhen und Tiefen dieser extrem anspruchsvollen Partie meistert.
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm • Bühne und Video: Momme Hinrichs • Kostüme: Aleksandra Kica • Choreografie: Francesc Abós • Licht: Thomas Schlegel • Sounddesign: Stefan Witter und Federico Gärtner Gutierrez • Chor: Tarmo Vaask; Mit: Lukas Mayer (Jesus), Til Ormeloh (Judas), Dorina Garuci (Maria Magdalena), Marc Clear (Pontius Pilatus), Alexander Alves de Paula (Kaiphas), Mark Weigel (Annas), Hans Kittelmann (Herodes), Denis Riffel (Simon Zelotes), Samuel Türksoy (Petrus) u.a. • Chor des Staatstheaters Nürnberg • Staatsphilharmonie Nürnberg
Aufmacherfoto: Pedro Malinowski