„Fame“ ist erstaunlich jung geblieben
Wenn man damit kein junges Publikum ins Theater bekommt, womit dann? Obwohl die Filmvorlage gute 40 Jahre alt ist, bleibt „Fame“ mit seinem „Ich werd’s schaffen“-Thema, mit den Auditions und den Liebes-Tändeleien in der Performing-Arts-Schule ein ewig junges Thema, das so oder ähnlich in Jugendserien, Filmen und all den Tanz- und Sing-Wettbewerben im Fernsehen durchdekliniert wird.
In Pforzheim vergisst man die vielen klischeehaften Momente des Musicals durch die pure Energie, mit der ein erstaunlich junges, erstaunlich homogenes Ensemble singend und tanzend über die Bühne fetzt. Jede Menge Triple Threats im Stadttheater? Jedenfalls scheint es so, denn Regisseurin Iris Limbarth perfektioniert hier sehr raffiniert die Kunst, gastierende Musicaldarsteller, hauseigene Ballett-Tänzer, Opernsänger und Schauspieler sowie einen Musicalchor aus Nicht-Profis zu einem Ensemble wie aus einem Guss zu verbinden. Dass sie nicht alle so blutjung sind, wie sie hier aussehen, merkt man wirklich nur bei näherer Inspektion.
Ist der ungehobelte Hip-Hopper tatsächlich ein Tenor, singt die wilde Drummerin tatsächlich sonst in der Oper? Limbarth, die langjährige Leiterin des Jungen Staatsmusicals in Wiesbaden, hat das Stück schon mehrfach inszeniert und choreografiert, sie bringt ihre Erfahrung hier in eine trotz drei Stunden Dauer rasante, bestens einstudierte Produktion ein. Gesungen und gebeltet wird durchweg ganz beachtlich, auch die Tanzszenen lassen kaum Wünsche offen, oft fallen Limbarth originelle Schritte ein. Wenn es an etwas fehlt, dann am Schauspiel: Manche Dialoge wirken aufgesetzt oder exaltiert, so hat eben jede(r) Mitwirkende bestimmte Stärken.
Sieht man von den arg klischeehaften Elementen des Stücks ab, sowohl über Künstler wie über Studenten, so gibt es doch eingängige Songs und charmante Szenen in dem aus vielen kleinen Vignetten zusammengestückelten Buch von Jose Fernandez. Die Eröffnungsnummer etwa stellt flott und prägnant sämtliche Personen vor, auch fächert die Schulaufführung zu Beginn des zweiten Aktes, hier mit einem Spiegelkabinett geheimnisvoll ausgeleuchtet, die ganze Faszination der Bühnenkünste auf. In dieser Szene zaubert Ausstatterin Esther Bätschmann ein wenig, ansonsten charakterisiert sie die Personen durch unaufdringliche Kostüme. Aber warum bitte sollen wir glauben, dass eine Hochschule „Romeo und Julia“ noch in Strumpfhosen spielt, selbst in den 1980ern?
Einige Dialoge fallen heute definitiv unter „toxische Schulatmosphäre“, die Art etwa, wie die Ballettlehrerin auf Mabels Gewicht anspielt. Die vier Lehrer werden von Lilian Huynen, Anne-Kathrin Hönes, Markus Wessiack und Thorsten Klein sehr sympathisch und bei aller Strenge mitfühlend porträtiert, Huynens Diseusen-Stil beim Singen bleibt gewöhnungsbedürftig. Nur wenigen der Akteure gelingt es, aus ihren stereotypen Rollen echte Persönlichkeiten zu machen: Jacob Hetzner etwa zeigt den Schauspielstudenten Nick als ungewöhnlich ernsten, poetischen jungen Mann, sein „Ich will sie verzaubern“ klingt toll. Auch Joanna Lissai als in ihn verliebte Serena singt großartig, spricht aber doch sehr aufgesetzt. William Baugh ist als widerspenstiger Analphabet Tyrone ein origineller Typ, beim Jazztanz jedoch fehlt noch die Geschmeidigkeit. Nina Links als Carmen und Rebecca Kramski als Mabel beeindrucken mit starken Stimmen und überströmenden Persönlichkeiten, Santiago Bürgi haut als Joe Vegas tolle Rocktöne raus und bleibt leider ein Klischee-Latino. Sanja Matea Fäber als feine Balletttänzerin, Jan-Hendrik von Minden als nerdiger, ehrlicher Musiker und Franziska Fait als taffe Schlagzeugerin ergänzen das Ensemble mit unterschiedlichsten Farben. Philipp Haag leitet die Rockband mit einem satten Groove, die Songs von Steve Margoshes und Jacques Levy klingen in dieser Interpretation erstaunlich zeitlos.
Musikalische Leitung: Philipp Haag • Regie und Choreografie: Iris Limbarth • Ausstattung: Esther Bätschmann • Mit: Joanna Lissai (Serena Katz), Jacob Hetzner (Nick Piazza), Santiago Bürgi (Joe Vegas), Nina Links (Carmen Diaz), William Baugh (Tyrone Jackson), Sanja Matea Färber (Iris Kelly), Rebecca Kramski (Mabel Washington), Jan-Hendrik von Minden (Schlomo Metzenbaum), Franziska Fait (Grace Lamb), Bernhard Meindl (Goodman King), Sophia Klemisch (Harriet Miller), Julia Fleischhauer (Doris Hershkowitz), Michael Stevens (Vincent Clarke), Mattia Serio (Esteban Rodriguez), Lilian Huynen (Miss Sherman), Anne-Kathrin Hönes (Miss Bell), Thorsten Klein (Mr. Sheinkopf), Markus Wessiack (Mr. Myers) • Tanz-, Theater- und Musicalchor Theater Pforzheim • Badische Philharmonie Pforzheim
Aufmacherfoto: Sabine Haymann