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Ferdinand Raimund – Der Ganze! Das Musical: Eine Liebesgeschichte

Raimunds sämtliche Werke (leicht gekürzt)

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Schauspielhaus Salzburg
von
Anna Mabo (Musik und Liedtexte)
Anna Mabo und Vincent Sauer (Buch)
Regie
Anna Mabo
Uraufführung
2025

Anna Mabo holt das Alt-Wiener Volkstheater ins 21. Jahrhundert

Er hat einen Blumenfachhandel. Sie will nur aufs Klo. Sind sie füreinander bestimmt? Spoiler: „Na.“ Völlig wurscht – Anna und Ferdinand, das matcht, trotz aller Gegensätze, trotz 206 (!) Jahren Altersunterschied.

Für ihr erstes Musical hat sich die Wienerin Anna Mabo (*1996) niemand Geringeren als den legendären Dramatiker des Alt-Wiener Volkstheaters vorgenommen. „Raimunds sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ könnte man sagen. Mabo setzt noch einen drauf: „Ferdinand Raimund – Der Ganze! Das Musical: Eine Liebesgeschichte“. Schräg? Auf jeden Fall – gut so! Was da in 100 pausenlosen Minuten aufs Publikum losgelassen wird, ist ziemlich schwer zu beschreiben. Versuchen wir’s trotzdem mal: Man denke an einen psychedelisch angehauchten LSD-Trip in ärgster Hippie-Manier frisch aus dem Faschingsfundus mit umhertanzenden Krebsen und Kakteen (Ausstattung: Tanja Maderner), in dem über Ageismus, Liebesleid und Erbschaftssteuer philosophiert wird. Gewürzt wird das alles von Gstanzln, viel Jugendsprache („Cringe, Digga!“), schnelleren Dialogen als in jeder „Gilmore Girls“-Folge und popkulturellen Anspielungen von Lloret de Mar und dem Terminator bis zu Alexander Van der Bellen. Nicht nur einmal fragt man sich, ob man tatsächlich am frühen Abend im Schauspielhaus Salzburg sitzt oder nicht doch um 3 Uhr nachts in der Bar, ein paar Drinks zu viel im Blut.

Dazwischen darf natürlich auch ein Schnelldurchlauf von Raimunds acht Zauberspielen nicht fehlen, entstanden 1823 bis 1834, darunter „Der Barometermacher“, „Alpenkönig und Menschenfeind“ oder „Der Verschwender“. Nur der „Unaufführbarkeit“ der „Unheilbringenden Zauberkrone“ beugen sich Mabo und Co. – Raimund, der verkannte Postdramatiker? „Ich will keine Innovation, ich will in den Arm genommen werden.“ Das übernimmt die Bühnenfigur Anna Mabo, besungen, beobachtet und an der Gitarre begleitet von der echten. Die weibliche Hauptfigur von Anna Mabos Musical ist Anna Mabo? Ganz ehrlich: Genau diese Art von „Respektlosigkeit“ im Umgang mit unserem Bildungsbürgertum ist erfrischend anders – es braucht Mut, sich selbst so in den Ring zu werfen. 

Gesang zieht sich quer durch Raimunds Stücke, die von Feen und allerlei anderen Zaubergestalten bevölkert werden. Einlagen wie das „Hobellied“ kombiniert Mabo mit eigenen Songs aus ihrem neuen vierten Studioalbum „Mittelschwere Ekstase“, statt ans „Meer“ geht es halt ins niederösterreichische Gutenstein. Die junge, feengleiche Liedermacherin fängt die Aura der längst vergangenen goldenen Volkstheater-Ära ein, treibt sie mit der sanft-verträumten Schrägheit einer Judith Holofernes auf die Spitze – und macht eine neue Generation vertraut mit einem Künstler, „den außerhalb der Alpenrepublik keiner mehr kennt geschweige denn spielt“. Wenn Mabo mit rosa Kurzhaar-Frisur, grünem Kleid und Glitzerstiefeln auf einem Papp-Pferdchen hereinreitet, hat man das Gefühl, der leichtfüßigen Punk-Prinzessin des neuen Musicals zuzusehen. Und zwischen aller Stand-up-Comedy scheinen immer wieder auch sentimentale Bar-Momente durch, wie sie wohl jeder kennt: pur, echt, mit genau dem richtigen Schuss Sentimentalität.

Das alles wäre nicht „rund“ ohne vier Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die den skurrilen Geist des Abends mit jeder Faser aufsaugen. Das zentrale und sich immer wieder duellierende Liebespaar (plus unzählige andere Rollen) spielen Isabella Knöll und Co-Autor Vincent Sauer in Crossgender-Besetzung. Was Knöll abliefert, ist schlicht sensationell – Mimik, Körpersprache, Tonfall und „Wiener Schmäh“ als autistisch-krampfig-reimloser Raimund: unbezahlbar. Sauer bleibt ihr als Anna dicht auf den Fersen, besonders seine Darstellung des Lottchens aus „Der Bauer als Millionär“ ist zum Schießen. Bleiben Cellist Clemens Sainitzer und Schlagzeuger Alexander Yannilos, die mit Anna Mabo nicht nur die perfekte Soundkulisse zaubern, sondern zu allem Überfluss auch noch selbst ins Geschehen gezogen werden. Alles Vollblutkünstler durch und durch – kein Wunder, dass sie wenige Wochen nach der Uraufführung im Wiener Rabenhof Theater auch die Salzburger Herzen im Sturm erobern. Wenn im Hintergrund nur nicht schon der vermaledeite Nestroy lauern würde … 


Regie: Anna Mabo • Ausstattung: Tanja Maderner • Licht: Katrin Neyer • Maske: Katrin Bohaty • Schauspiel: Isabella Knöll, Vincent Sauer • Musik: Anna Mabo, Clemens Sainitzer, Alexander Yannilos

Aufmacherfoto: Ingo Pertramer/Rabenhof Theater

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