„Das Phantom der Oper“ kämpft um Liebe und Anerkennung
Die deutschsprachige Erstaufführung von Andrew Lloyd Webbers erfolgreichstem Musical erfolgte 1988 im Theater an der Wien und löste über fünf Jahre lang Begeisterungsstürme und unvergessliche Eindrücke aus – auch bei der Rezensentin. Wien wurde endgültig zu einem weltweiten Musical-Hotspot, als das Werk ans 130-jährige Raimund Theater übersiedelte. Umso unverständlicher, dass es über 30 Jahre dauerte, um das von Erfolg gekrönte Stück in der österreichischen Hauptstadt wiederzubeleben. Jetzt ist es soweit: in Cameron Mackintoshs internationaler Neuproduktion, die erstmals auch im deutschsprachigen Raum zu sehen ist.
Das größte Problem von Regie (Laurence Connor und Seth Sklar-Heyn) und Bühnenbild (Paul Brown) ist sicherlich, Opulenz und eindringliche Effekte auf einer kleinen Bühne mit nur 13 Metern Portalbreite zu zaubern. So fällt diesem Umstand die ansonsten überall gezeigte Treppe, auf der das Phantom beim Maskenball glanzvoll erscheint, zum Opfer. Eine unscheinbare Glastür gibt dem Eindringling stattdessen in einem unheimlichen Spiegelkabinett, wo makabre Statuen Spalier stehen, Einlass zum Fest. Eine effektvollere Bootfahrt über den nebligen See scheitert ebenfalls an der kurzen Strecke. Hannibal kann bei der gespielten Bühnenprobe nicht auf einem imposanten Elefanten einreiten, dafür wird das Rüsseltier aus Pappe mickrig klein im Hintergrund vorbeigezogen.
Durch die Drehbühne und optimale Ausnutzung eines runden, turmähnlichen Korpus gelingen allerdings rasche Szenenwechsel vom Direktorenzimmer zur Opernbühne und wenn nötig, erscheinen aus dem Nichts schwindelerregende Stufen an der Außenmauer des düsteren Turmes. Sie führen in die tiefen Abgründe des Opernhauses, in des Phantoms „Reich der Illusionen“, welche durchaus passend an ein Folterverließ erinnern. Auf dem Dach der Pariser Oper, wohin Christine und Raoul nach dem ersten Mord fliehen, kann kurzfristig romantische Stimmung mit Vollmond, friedlicher Wolkenstimmung und beleuchteten Dächern im Hintergrund erzeugt werden, bevor die – hinter Steinskulpturen lauernde –Titelfigur bedrohlich Rache schwört und zum „Phantom der Dunkelheit“ wird. Schauer-Atmosphäre erzeugen am düsteren Grab von Christines Vater Kirchenglocken, Nebelschwaden und ein wütender Operngeist, der Feuersäulen schleudert, die nicht nur das Liebespaar erschrecken, sondern auch das Publikum blenden. Natürlich darf auch nicht die effektive Präsentation des blinkenden Kronleuchters am Stückanfang und „Bring down the chandelier“ – über den Köpfen des Publikums hinweg – fehlen.
Erwähnenswert sind die prachtvollen Kostüme nach dem Originalkonzept von Maria Björnson, die farbenfroh von Jill Parker überarbeitet wurden. Gut gefällt auch die exzellente Personenführung der Solistinnen und Solisten. Man merkt, dass hier intensiv gearbeitet wurde, was gleichermaßen Carsten Paap als musikalischer Leiter beweist.
Eine herausragende Entdeckung ist Wien-Debütantin Lisanne Clémence Veeneman. Ihr frischer, jugendlicher Sopran blüht herrlich auf und sie verfügt über eine leuchtende, klare Höhe. Die darstellerische Entwicklung von der unschuldigen Elevin Christine Daaé zur entschlossenen Frau gelingt makellos und der musikalische Höhepunkt am Friedhof „Könntest du doch wieder bei mir sein“ berührt tief. Mit wunderschönen Bewegungen beim Tanz auf dem Tisch harmoniert sie sowohl mit dem Phantom als auch mit einer ausgezeichneten Laura May Croucher als Ballettmädchen Meg. Roy Goldman als Raoul ist in Deutschland und Wien musicalerprobt und fällt durch Wortdeutlichkeit und schöne Stimme auf. Beeindruckend, wie leichtfüßig er die steilen Treppen zur Behausung des Phantoms nimmt. Milica Jovanović gefällt als Carlotta mit theatralischem Zicken-Gehabe und voluminöser Stimmkraft ebenso wie Patricia Nessy mit enormer Bühnenpräsenz als Madame Giry. Leider fehlen bei Anton Zetterholm als Phantom sowohl Charisma als auch stabile Stimmführung. Die Falsett-Töne sind nur dank technischer Unterstützung ertragbar und die Stimme kann erst im Sprechgesang am Stückende einnehmen, als die „Zeit der Dunkelheit endet“. Die Gala-Premiere im ausverkauften Haus wird lautstark bejubelt.
Musical Supervision: Alfonso Casado Trigo • Musikalische Leitung: Carsten Paap • Choreografie: Scott Ambler und Nina Goldman • Bühne: Paul Brown und David Harris • Kostüme: Maria Björnson und Jill Parker • Projektionen: Zakk Hein • Licht: Paule Constable und Rob Casey • Sounddesign: Mick Potter und Nic Gray • Mit: Anton Zetterholm (Das Phantom), Lisanne Clémence Veeneman (Christine Daaé), Roy Goldman (Raoul, Vicomte de Chagny), Rob Pelzer (Monsieur André), Thomas Sigwald (Monsieur Firmin), Milica Jovanović (Carlotta Giudicelli), Patricia Nessy (Madame Giry), Greg Castiglioni (Ubaldo Piangi), Laura May Croucher (Meg Giry) u.a. • Orchester der Vereinigten Bühnen Wien
Aufmacherfoto: VBW/Deen van Meer