„Die Addams Family“ so morbide wie liebevoll inszeniert
Die Ansage, die Handys doch bitte auszuschalten, macht eine abgetrennte, aber eloquente Hand vor dem Vorhang – „das eiskalte Händchen“, wie die Rolle heißt, tanzt gleich noch ein Solo zur Ouvertüre und geistert auch durch die düsteren Ecken des Bühnenbildes. Das kleine Theater in der Schwarzwald-Kurstadt spielt das Grusel-Musical von Andrew Lippa in der minimalst-möglichen Besetzung, in den Tanznummern ersetzt das Ensemble die Geister der Ahnen, die normalerweise als Chorus Line herumspuken. Frei nach dem Song „Verrückter als Du“ ist hier alles noch ein bisschen schräger als gewohnt, sowohl was die Optik der einzelnen Familienmitglieder angeht, als auch ihre Auftritte.
Vor einem fast schon verwunschen schönen Friedhofsbaum im Hintergrund (Ausstattung: Steven Koop) ist die herrschaftliche Villa der morbiden Familie klein, aber praktisch aufklappbar. Alles bleibt in Schwarzweiß, bis hin zu den dunklen Ringen um die Augen. Regisseurin Nicole Felden hat mit dem Ensemble unglaublich detailliert gearbeitet und holt mit leichtfüßig-absurdem Humor jede Pointe aus dem Stück. Von der sehr lustigen Eröffnungsnummer bis zum liebevollen Happy End erheitern jede Menge originelle Einfälle, die Pointen fliegen mit treffsicherem Timing. Die Konflikte innerhalb der beiden Familien werden genauso deutlich wie die versöhnliche Moral des Musicals, die wichtige Rolle von Liebe, Vertrauen und Vergeben. In seinen kleinen Choreografien spielt Markus Buehlmann mit der Tatsache, dass zwar niemand hier wie am Broadway tanzt – aber alle bringen die typischen Eigenheiten ihrer jeweiligen Rolle mit geschmeidiger Eleganz in Bewegung.
Als Familienvater Gomez gibt Sebastian Mirow den vollendeten Macho-Gentleman mit herrlich weich gelispeltem spanischem Akzent. Er federt so elastisch wie unglücklich zwischen den Wünschen seiner Frau und der Tochter hin und her. Nadine Kettler verleiht Morticia Addams einen fast schon heiligen Ernst und wird auf liebenswerte Weise weich, als sie ihren Sohn ins Bett packt. Ihrer Tochter Wednesday fehlt jedes Pathos, Lisa Schwarzer spielt das Mädchen wirklich knochentrocken. Umso entzückender ist dann und wann ihr Dahinschmelzen für den völlig gegenteiligen Lucas Beineke. Der ist bei Lion-Russell Baumann ein verspulter Intellektueller, eher Klimaschützer als Sportstar, und von wilder Entschlossenheit, seine Liebste zu heiraten.
Familie Beineke strandet erstmal im Publikum und hängt dort sehr lustig fest, bevor die großartige Constanze Weinig aus ihrem Auftritt mit der Wahrheitsdroge fast schon eine Sondheim-Nummer macht – aus großer Tiefe holt sie die Klage über die zerbrochenen Illusionen. Michael Laricchia streift als ihr Gatte recht erleichtert seine Biederkeit ab und lässt den Rocker raus. Als schmollender Addams-Sohn Pugsley streckt Carl Herten sein angeklebtes Knabenbäuchlein vor, Oliver Jacobs legt als Onkel Fester einen kleinen Soft-Shoe-Shuffle aufs Parkett und startet die Rakete zum Mond mit einem knallbunten Kinderspielzeugmotor. Besonders schrill ist die Oma, die zu niemandem gehört: Rosalinde Renn stürmt als renitente Luxus-Rentnerin durchs Geschehen. Kilian Bierwirth versinkt als (zumindest theoretisch) stummer Diener Lurch in stoischer Melancholie und bekommt Sonderapplaus für seine geunkte Lebensgeschichte.
Man kann nicht behaupten, dass die sängerischen Leistungen des Abends überragende Qualität hätten, manch einer mogelt sich ein wenig durch. Dafür klingen die Tango- und Rumba-Rhythmen aus dem Graben mitreißend, Hans-Georg Wilhelm dirigiert das gar nicht so kleine Orchester mit Tempo und Spannung. Mit so viel Witz, einer derart übersprudelnden Freude am Absurden funktioniert „The Addams Family“ bestens auf kleinem Raum – Standing Ovations sind der Lohn.
Musikalische Leitung: Hans-Georg Wilhelm • Ausstattung: Steven Koop • Choreografie: Markus Buehlmann • Mit: Sebastian Mirow (Gomez Addams), Nadine Kettler (Morticia Addams), Lisa Schwarzer (Wednesday Addams), Carl Herten (Pugsley Addams), Oliver Jacobs (Onkel Fester), Rosalinde Renn (Grandma), Kilian Bierwirth (Lurch), Lion-Russell Baumann (Lucas Beineke), Constanze Weinig (Alice Beineke), Michael Laricchia (Mal Beineke)
Aufmacherfoto: Jochen Klenk