Die „Rocky Horror Show“ geht auf Jubiläumstour
Eigentlich war ihm nur langweilig. Als arbeitslosem Schauspieler und Science-Fiction-Fan wirbelte ihm an trüben Winterabenden manche Idee durch den Kopf. Irgendwann nahmen die Hirngespinste dramaturgisch ausgetüfteltere Formen an – und fügten sich zu einem wilden, bizarren, ein bisschen gruseligen, erotisch aufgeladenen, hingebungsvoll dem Transvestismus verschriebenen Stück. Diesen Plot reichte Richard O’Brien an den australischen Regisseur Jim Sharman weiter. Der feilte an den Texten und montierte die Geschichte zu einer ziemlich schrillen Revue, die Grenzen damals gängiger Tabus überschritt. Die Londoner Uraufführung im winzigen Studio des Royal Court Theatres fand Beachtung. Bald regte sich das West End und von da aus entwickelte sich die „Rocky Horror Show“ im Nu zum globalen, inzwischen gleich zweimal verfilmten Hit. Im Berliner Admiralspalast startet jetzt die Tour einer Neuproduktion zum 50-jährigen Jubiläum des Musicals.
Es ist schon etwas rätselhaft, warum das Stück immer noch ein Massenpublikum anlockt und längst sogar Kultstatus hat. Der Gruseleffekt verpufft heute, das Thema Homosexualität bringt kaum noch jemanden auf die Barrikaden und den grellen Glamour übertrumpft jede Disney-Produktion. Trotzdem zieht das Stück auch jüngere Leute in seinen Bann. Vielleicht liegt es an der unverwüstlichen Musik von O’Brien, gewiss aber an dieser tolldreisten Mischung aus biederem Bürgermilieu und saftiger Travestie mit Stilettos und Strapse. Oder an dem plakativen, weiterhin gültigen Postulat für Vielfalt und Freiheit. Etliche Besucher kleiden sich mit entsprechendem Outfit, inklusive Reis, Wasserpistolen und Klopapier als unbedingte Accessoires.
Die aktuelle Inszenierung kommt im englischen Original daher, was ihr Authentizität gibt. Regisseur Sam Buntrock und Choreograf Matthew Mohr sorgen für rasante Bewegungen auf der Bühne. Das Ensemble entwickelt daraus die nötige Schubkraft, um die „Rocky Horror Show“ zum hoch vergnüglichen, taufrisch wirkenden Spektakel geraten zu lassen. Die Ausstattung von David Farley taucht die intergalaktischen Abenteuer in eine stimmige Atmosphäre aus Horrorkabinett, Zirkus und Cabaret, gewürzt mit üppig wallender Laszivität.
Ein Erzähler spinnt den Handlungsfaden. In der Berliner Premiere und den ersten Folgeaufführungen schlüpft Moderator, Autor und Schauspieler Hugo Egon Balder in diese Rolle. Er kennt sich seit „Tutti Frutti“ gut mit Halbseidenem aus und weiß die Stationen mit sonorer Stimme und spöttischem Schmunzeln genussvoll zu verschmelzen: eine tolle Besetzung.
O’Briens überdrehtes Stück drängt alles ins Zentrum, was in braven Wohnzimmern eher verpönt ist. Lust, Verführung, Abkehr von moralischen Fesseln feiern hier Party total. Köstlich, wenn Brad und Janet sich im Schloss verirren, auf Frank’N’Furter und Riff Raff stoßen, dabei völlig aus der Fassung geraten und schließlich ihr eigenes Korsett ad acta legen. Die Inszenierung betont das Exzentrische, gibt den Figuren charismatische Konturen, besticht durch Lichteffekte und wabernden Nebel. Mit wenigen Requisiten wird reichlich Atmosphäre geschaffen.
Im Mittelpunkt stehen die unverwüstlichen Songs wie „Time Warp“, „Sweet Transvestite“, „Touch Me“ oder „Superheroes“, vom musikalischen Leiter Dan Tomkinson und seiner Band geschmeidig auf pulsierende Phonstärke gebracht. Feinste Voraussetzungen, um auf der Bühne ein Feuerwerk aus Slapstick, Pailletten-Parade, urkomischen Momenten und hitzigen Tanz-Szenen zu entfachen. Besonders angeheizt wird dieses durch Oliver Savile (Frank’N’Furter), Christian Lunn (Riff Raff), Alexanda O’Reilly (Rocky), Sydnie Hocknell (Janet) und Jed Hoyle (Brad). Jubel und Ovationen am Schluss, wenn das Publikum eine knallbunte, lebendige Anniversary-Show feiert.
Musikalische Leitung: Dan Tomkinson • Musical Supervision: Jeff Frohner • Choreografie: Matthew Mohr und Lindsay Atherton • Ausstattung: David Farley • Licht: David Howe • Sounddesign: Jon Pitt • Mit: Oliver Savile (Frank’N’Furter), Sydnie Hocknell (Janet), Jed Hoyle (Brad), Christian Lunn (Riff Raff), Stephanie Chandos (Columbia), Melissa Nettleford (Magenta), Alexanda O’Reilly (Rocky), Rob Falconer (Eddie/Dr. Scott) u.a.
Aufmacherfoto: Jochen Quast