„How to Dance in Ohio“ kämpft gegen das Stigma Autismus
Das Musical hat sich in den letzten Spielzeiten enorm verändert und beschreibt das menschliche Wesen inzwischen weitaus erwachsener als die Werke, die einst unsere Eltern begeisterten. Bei einigen dieser publikumswirksamen Produktionen gab es eine große Neuerung: Schauspielerinnen und Schauspieler, die mit körperlichen oder geistigen Problemen zu kämpfen haben, und das in einer Handlung, die oft Parallelen zu ihrem eigenen Leben aufweist.
Das war zum Beispiel bei „Spring Awakening“ der Fall, das 2015 von tauben und/oder stummen Darstellern aufgeführt wurde, oder beim Revival von „Oklahoma!“ 2019, wo eine gelähmte Schauspielerin die Rolle der Ado Annie spielte. Aufführungen wie diese öffnen dem Publikum die Augen über seltene (und manchmal unheilbare) Krankheiten, über die kaum gesprochen wird.
Nun kommt „How to Dance in Ohio“ hinzu, das auf einem Dokumentarfilm von Alexandra Shiva aus dem Jahr 2015 basiert und von der Broadway-Debütantin Rebekah Greer Melocik (Buch und Gesangstexte) und dem Komponisten Jacob Yandura neu für die Bühne konzipiert wurde. Mit seinem klaren Fokus auf Autismus erregte der Film die Aufmerksamkeit von Broadway-Legende Harold Prince. Er kündigte drei Jahre später an, dass er an einem Musical arbeite, das auf dem Film basiert. Als Prince kurz darauf starb, beschloss die bekannte Hollywood-Regisseurin Sammi Cannold, das Projekt zu übernehmen und damit ihr eigenes Broadway-Debüt zu geben.
Das Musical spielt in Columbus, Ohio, einem beschaulichen Bundesstaat im Norden der USA, und handelt von einer Gruppe Jugendlicher, die nach ihrer Identität, ihrem Platz im Leben und in der Gesellschaft suchen, während sie mit psychischen und physischen Schwierigkeiten aufgrund ihres Autismus zu kämpfen haben. Diese Entwicklungsstörung hindert sie daran, „normale“ soziale Beziehungen zu pflegen und mit anderen zu kommunizieren, sie kann zu Hypersensibilität und verzögerter Wahrnehmung führen. Als ihr behandelnder Arzt Dr. Emilio Amigo vorschlägt, ihnen bei der Überwindung ihrer Rückschläge durch die Organisation einer Tanzparty zu helfen, die positiv auf sie wirken könnte, scheinen die Jugendlichen von der Idee zunächst nicht begeistert zu sein. Bis sie merken, dass sie einige ihrer Probleme damit vielleicht auf interessante Weise lösen könnten …
Die Geschichte, die auf demselben Drehbuch wie der Film basiert, wirkt etwas dünn, ebenso ihre Adaption. Sie mag im Rahmen des Dokumentarfilms funktioniert haben, aber hier auf der Bühne nicht so gut. Die kurzen Vignetten, in denen die verschiedenen Charaktere einzeln oder zusammen mit anderen zu sehen sind, zwischendurch ein gelegentliches, vom Doktor organisiertes Zusammentreffen: Das alles scheint recht spontan geschrieben worden zu sein, ohne große Kontinuität. Die schwunglosen Texte helfen nicht wirklich, sie sind größtenteils in Alltagssprache verfasst, die in einer kaum eingängigen Musik vertont wurde.
Das einzige riesig positive Element dieser Produktion ist das Mitwirken von sieben Darstellerinnen und Darstellern auf der Bühne, die selbst Autisten sind und hier allesamt ihr Broadway-Debüt geben. Sie wirken unter den anderen Darstellern wie gestandene Profis, überwinden die vielen mentalen und physischen Anforderungen der Aufführung genau wie ihre eigenen Anzeichen der Erkrankung und geben dem Geschehen auf der Bühne genau jene Energie, die man braucht, um das Publikum zu fesseln. Sie verdienen und erhalten die höchste Anerkennung! Dass das Stück in Ohio spielt, scheint allerdings eher Zufall zu sein …
(Übersetzung: Angela Reinhardt)
Musikalische Leitung: Lily Ling • Choreografie: Mayte Natalio • Bühne: Robert Brill • Kostüme: Sarafina Bush • Licht: Bradley King • Sounddesign: Connor Wang • Autistic Creative Consultant: Ava Xiao-Lin Rigelhaupt
Mit: Caesar Samayoa (Dr. Emilio Amigo), Desmond Luis Edwards (Remy), Amelia Fei (Caroline), Madison Kopec (Marideth), Liam Pearce (Drew), Conor Tague (Tommy), Ashley Wool (Jessica), Imani Russell (Mel), Haven Burton (Terry), Darlesia Cearcy (Johanna), Carlos L. Encinias (Kurt/Rick/Hawkins), Andrew Kober (Michael/Derrick), Melina Kalomas (Amy/Shauna), Cristina Sastre (Ashley Amigo) u.a.
Aufmacherfoto: Curtis Brown