„Suffs“ blickt auf die Geschichte des Frauenwahlrechts
Der ungewöhnliche Name dieses Musicals könnte Theaterbesucher verwirren. Er ist eine Abkürzung für das Wort „Suffragetten“: ein Begriff, der seit Ende des 19. Jahrhunderts für die Frauenbewegung verwendet wurde, die das gleiche Wahlrecht wie für Männer anstrebte. Die Strömung begann in England und verbreitete sich bald in ganz Europa und Amerika.
Die Handlung setzt 1913 ein, als ein Wahlrechtsgesetz mit der Forderung nach Gleichberechtigung ins Repräsentantenhaus eingebracht wurde und zu einem wichtigen Thema in ganz Amerika wurde. Angeführt von historischen Führungspersönlichkeiten und Organisatorinnen wie Alice Paul, Ruza Wenclawska, Carrie Chapman Catt, Mary Church Terrell, Alva Belmont sowie der National American Woman Suffrage Association, forderten die Frauen die Regierung von Präsident Woodrow Wilson heraus. Das Gesetz wurde 1919 offiziell verabschiedet und ein Verfassungszusatz gestand den Frauen die Rechte zu, für die sie kämpften – auch wenn es noch einige Jahre dauern sollte, bis sie vollständig umgesetzt wurden.
Das Musical thematisiert die vielen Schwierigkeiten, mit denen die Frauen konfrontiert waren, bevor der Zusatz endlich von sämtlichen US-Staaten ratifiziert wurde; einige der Anführerinnen kamen als Reaktion auf ihre Aktivitäten ins Gefängnis. Dort wurden sie augenscheinlich sehr schlecht behandelt, obwohl die Beamten sofort erklärten, wie anständig sie sich verhalten hätten. Ein wichtiger Moment im Leben und in der Geschichte der USA, der es verdient hat, durch ein Musical ins öffentliche Blickfeld gerückt zu werden, genau wie zum Beispiel die Geschehnisse in „1776“. Das Stück wurde von Shaina Taub konzipiert, einer in den unterschiedlichsten Stilrichtungen aktiven Schauspielerin und Schriftstellerin. Sie hat auch die Partitur mit etwa 30 Liedern komponiert, die sich in zwei Stunden entfaltet. Das Buch berührt nicht nur die Hauptanliegen der Bewegung, sondern wechselt auch gelegentlich zu persönlichen Aspekten, etwa wenn Dudley Malone (Tsilala Brock), der stellvertretende Außenminister, die Aktivistin Doris Stevens (Nadia Dandashi) aus dem Gefängnis befreit. Er hatte sie zuvor kennengelernt und sie sollte später seine Frau werden.
Im Großen und Ganzen ist die – rein weibliche – Besetzung der Herausforderung gewachsen, die wichtigsten unter jenen heldenhaften Frauen wieder zum (theatralischen) Leben zu erwecken, die sich damals den männlichen Hardlinern widersetzten und ihren Kampf gewannen. Shaina Taub selbst porträtiert Alice Paul als eine ruhelose, aber gut organisierte Anführerin – eine Rolle, die ganz zu ihrer eigenen Persönlichkeit zu passen scheint. Weitere herausragende Darstellerinnen, die den anderen Frauen kräftiges Leben einhauchen, sind Jenn Colella (Carrie Chapman Catt), Anastaćia McCleskey (Mary Church Terrell), Emily Skinner (Alva Belmont) und Nikki M. James (Ida B. Wells). Die einzige Ausnahme im von Leigh Silverman trefflich in Szene gesetzten Ensemble ist Präsident Wilson, der hier von Grace McLean in einer Art und Weise gespielt wird, als wäre die Rolle für eine andere Show geschrieben worden: Wilson wird als Witzfigur mit seltsamen Manierismen gezeigt, fast wie eine Figur aus der Burlesque. Das erscheint als eine seltsame Charakterisierung in einem Stück, das einen entscheidenden Moment in der Geschichte der USA heraufbeschwören will.
Die meisten Dialoge werden gesungen, minimieren die Texte und ihre Bedeutung aber und lassen sie weniger überzeugend wirken. Mit Ausnahme einiger weniger Nummern gehen die Lieder selbst nicht besonders ins Ohr. Sie halten sich zwar an den Kontext des Buches, wirken jedoch eher wie Füllmaterial, anstatt musikalisch aus der Handlung herauszuragen. Zu den wenigen einprägsamen Liedern gehören „Ladies“, „Let Mother Vote“, „Finish The Fight“ und „Keep Marching“: Sie beschreiben den Mut und die Hartnäckigkeit der Frauen, ihre Entschlossenheit, als Gleichberechtigte behandelt zu werden, und werden von den Darstellerinnen mit großem Elan gesungen. „Suffs“ wurde von einem rein weiblichen Produktionsteam inszeniert – eine Seltenheit in der von Männern dominierten Broadway-Szene – und ist ein interessantes Musical, das jedoch in einer mit Blockbustern reich gespickten Spielzeit starke Konkurrenz hat.
(Übersetzung: Angela Reinhardt)
Musikalische Leitung: Andrea Grody • Choreografie: Mayte Natalio • Bühne: Riccardo Hernández • Kostüme: Paul Tazewell • Licht: Lap Chi Chu • Sounddesign: Jason Crystal • Mit: Kim Blanck (Ruza Wenclawska), Ally Bonino (Lucy Burns), Tsilala Brock (Dudley Malone), Jenn Colella (Carrie Chapman Catt), Hannah Cruz (Inez Milholland), Nadia Dandashi (Doris Stevens), Laila Erica Drew (Phyllis), Nikki M. James (Ida B. Wells), Jaygee Macapugay (Mollie Hay), Anastaćia McCleskey (Mary Church Terrell), Grace McLean (President Woodrow Wilson), Emily Skinner (Alva Belmont/Phoebe Burn), Shaina Taub (Alice Paul) u.a.
Aufmacherfoto: Joan Marcus