John Gallagher Jr. and the Company of SWEPT AWAY. Photo by Emilio Madrid | MUSICAL TODAY

Swept Away – A New Musical Tale

Geschichte eines Schiffbruchs

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Broadway (Longacre Theatre)
von
The Avett Brothers (Musik und Gesangstexte)
John Logan (Buch)
Regie
Michael Mayer
Uraufführung
2022

„Swept Away“ ist so spannend wie außergewöhnlich

Je nachdem, was man unter dem Begriff „Musical Comedy“ versteht, passt „Swept Away“ eigentlich nicht in das Genre, obwohl das Stück eine breite Palette von Liedern und Tanznummern bietet. Die Produktion wird als „musikalisches Märchen“ bezeichnet. Das trifft wohl eher zu, obwohl es auch nicht wirklich ein „Märchen“ ist: Das Stück beruht auf einer wahren Begebenheit, dem Untergang der Mignonette. Das englische Schiff sank 1884 vor dem Kap der Guten Hoffnung. Dieses Ereignis inspirierte die Avett Brothers, eine Folk-Rock-Band aus North Carolina, 2004 zu einem Album mit Songs, die sich um dieses Ereignis ranken.

Der Dramatiker John Logan, vor allem für sein Buch zur Musical-Adaption von „Moulin Rouge!“ bekannt, bearbeitete auch diese Geschichte für die Bühne und wob die wichtigsten Musiknummern des Albums geschickt in die Entwicklung der Handlung. Als ein namenloses Schiff im Begriff ist, den Hafen von New Bedford in Massachusetts zu verlassen, springt ein Teenager – „Little Brother“ – an Bord, weil er den Rest der Welt entdecken will. Bald darauf wird er von „Big Brother“ verfolgt, der ihn zum Hof der Familie zurückbringen will. Nach einem Streit zwischen den beiden sitzt er an Bord fest, denn das Schiff hat den Hafen verlassen. Die beiden Brüder brauchen einige Zeit, um sich an das Leben auf hoher See zu gewöhnen. Die Besatzungsmitglieder, angeführt vom älteren Kapitän und seinem Stellvertreter, dem Maat, akzeptieren ihre Anwesenheit, obwohl sie offensichtlich aus einem anderen Milieu mit unterschiedlichen Ansichten und Vorstellungen stammen, vor allem in religiösen Dingen.

Ein Sturm kommt auf, der von Bühnenbildnerin Rachel Hauck im kongenialen Zusammenwirken mit Kevin Adams (Licht) und John Shivers (Sound) eindrucksvoll in Szene gesetzt wird. Er bringt das Schiff zum Sinken, es überleben einzig die beiden Brüder, der Kapitän und der Maat. In einem Rettungsboot verbringen sie 21 Tage, verloren mitten auf dem Meer. Der Maat, der wenig Rücksicht auf andere nimmt und kein Problem mit Kannibalismus hat, schlägt vor, den bereits geschwächten kleinen Bruder zu opfern, weil der ohnehin dem Tod nah ist. Vorher aber tötet sich der große Bruder selbst, um ihn zu retten und den Überlebensdrang der anderen zu befriedigen. Am Ende des Abenteuers suchen drei Gespenster den Maat heim und fordern ihn auf, das Ende der Geschichte zu verraten.

Natürlich klingt das nicht gerade nach heiterer Theater-Unterhaltung. Aber die spannende Handlung, hervorragend ergänzt durch die vielen Musiknummern aus dem Original-Album der Avett Brothers, fesselt ihr Publikum über die gesamte Länge der 90-minütigen Aufführung.

In der Rolle des Maats nutzt John Gallagher, Jr., den man bereits in vielen Broadway-Shows und -Musicals bewundern konnte, die Bühne als Plattform für sein enormes Talent. Er zeigt sich gleichzeitig spöttisch, derb, lahm und vor Leben nur so sprühend, während sich die Geschichte entwickelt. Stark Sands war zuletzt in „& Juliet“ zu sehen und wurde zuvor für seine Rolle in „Kinky Boots“ für einen Tony nominiert – überzeugend porträtiert er den sehr strengen großen Bruder. Adrian Blake Enscoe gibt als kleiner Bruder sein Broadway-Debüt und zeigt dabei eine solche Bühnenpräsenz, dass sich ihm unbedingt weitere Gelegenheiten bieten sollten, hier zu glänzen. Absolut überzeugend spielt Wayne Duvall den Kapitän als alten Seemann – sozusagen jederzeit bereit, das Schiff zu verlassen.

David Neumanns Choreografie hält die erste Hälfte des Abends mit einer verlässlichen Darbietung männlicher Folklore in Schwung, während Michael Mayers Regie dem Ensemble die Zeit verschafft, um alles in einem angemessenen Tempo zu halten – vor allem in den Szenen, in denen das Schiff hin und her schwankt, bevor es schließlich sinkt. „Swept Away“ ist die Art von denkwürdigem Musikdrama, die ein reifes Publikum bereichert, das eine fesselnde Show sucht und offen ist für Folk-Rock-, Country- und Bluegrass-Songs, an denen man sie verankern kann.

(Übersetzung: Angela Reinhardt)

Musical Supervision: Brian Usifer • Musikalische Leitung: Will Van Dyke • Choreografie: David Neumann • Bühne: Rachel Hauck • Kostüme: Susan Hilferty • Licht: Kevin Adams • Sounddesign: John Shivers • Mit: Adrian Blake Enscoe (Little Brother), Stark Sands (Big Brother), John Gallagher, Jr. (Mate), Wayne Duvall (Captain) u.a.

Aufmacherfoto: Emilio Madrid

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