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Das Glück ist eine Orange

Brause mit Bittergeschmack

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Venue
Landestheater Detmold
by
Thomas Zaufke (Musik)
Peter Lund (Buch und Liedtexte)
Direction
Peter Lund
World premiere
2025

Das Sinalco-Musical zwischen braunen Schatten und Wirtschaftswunder

Besonders im Sommer darf es prickeln, gern mit säuerlichem Aroma. Zucker und Wasser geben den Rest, versetzt mit Kohlensäure. Daraus lässt sich Geld machen, dachte vor 120 Jahren Franz Simon Adolf Hartmann und erfand Sinalco, eine flüssige Erfrischung mit Profit-Potenzial. Von Detmold aus ging es damals im Nu um die Welt. Es folgten Zäsuren durch zwei Weltkriege und politische Einflussnahme. Jetzt gab das Detmolder Landestheater zu seinem eigenen 200. Jubiläum ein Musical über die prominente Limonade in Auftrag. Autor Peter Lund und Komponist Thomas Zaufke sollten die passende Mischung finden, um die Story zum Kaltgetränk bühnenreif aufzuwerten.

Gesundheitsfördernde Wirkung sprachen die Urväter dem Softgetränk zu. In den 1920er Jahren prosperierte die Erfindung, lange vor Coca-Cola oder Pepsi. Carl Vogel wurde Generaldirektor. Als Jude musste er 1935 gehen. Gustav Hardorp leitete fortan die Geschicke. Ein strammer Nazi, der autoritär agierte und Zwangsarbeiter einstellte, die bei Unpünktlichkeit ausgepeitscht wurden. Trickreich erwarb der Chef nach dem Krieg einen Persilschein, führte weiterhin das Unternehmen nach alter Methode. Das vermeintliche Wirtschaftswunder bot gehörigen Rückenwind. Sinalco löschte wieder global den Durst von Millionen, stets mit dem Lockruf von Sonne, Sommer und Dolce Vita. Eine typisch deutsche Geschichte mit wechselnder Konjunktur. Heute existiert die Erfrischung immer noch, verkauft in 50 Länder, allerdings produziert in Duisburg.

„Das Glück ist eine Orange“ zurrt die verzwickten Annalen dramaturgisch raffiniert zusammen und greift ins Füllhorn damaliger Musik-Trends, vom martialischen Ton bis zum Schlager-Sound der 60er Jahre, inklusive Melange aus Sinalco-Jingles. Im Zentrum platzieren Zaufke und Lund die Amtszeit von Hardorp, die Jahre 1936 bis 1963. Er mogelte sich durch die historischen Risse und geriet am Ende doch ins Fadenkreuz seiner Schuld. Insofern bietet das Musical keineswegs nur leichte Kurzweil, sondern langt in die Tiefe. Den Kern meißelt die Frage der jungen Stenotypistin Franziska: „Was hätte ich getan?“. Die Geschichte springt ohne Holperer zwischen den Zeitebenen, bleibt logisch und klar, was Ambivalenzen offenbart und nachdenkliche Momente schafft. Als Regisseur konzentriert sich Peter Lund auf die Figuren, flotte Abläufe, bewegte Massen, authentische Stränge und dichte Atmosphäre. Das gelingt ihm ohne sichtbare Anstrengung und stets glaubwürdig, unterstützt von Bart De Clercqs peppiger Choreografie. Daria Kornyshevas Kostüme suggerieren die Moden der Zeiträume, das praktikable Bühnenbild von Ulrike Reinhard verweist in Grautönen auf das Sinalco-Werk.

Thomas Zaufkes Partitur kostet alles aus, was musikalisch auf der Straße lag, und streut außerdem einige wunderbare Balladen ins Stück, die Schatten der braunen Epoche zum Ausdruck bringen. „Denkst Du noch manchmal zurück“, „Wie wär’s, mal was Neues auszuprobieren“, „Die schlimme Zeit“, „Die Apfelsine bleibt rund“ oder der eindringliche Entnazifizierungs-Song sind Beispiele für den Ideenreichtum des Komponisten. Dirigent Mathias Mönius bringt die Arrangements von Markus Syperek wirksam zum Klingen.

Mit pulsierender Leidenschaft agiert das gesamte Ensemble: Thorsten Tinney als selbstgefälliges Alphatier Hardorp, Nikos Striezel als frecher Chauffeur Heinrich, Franziska Pfalzgraf ist eine zerrissene Anneliese als Firmenspitzel, Sandra Leitner die nachdenkliche Franziska, Patrik Cieslik der homosexuelle Werbefachmann Michael und Brigitte Bauma brilliert als resolute Vorarbeiterin Emma.

Das Sinalco-Musical präsentiert sich ebenso ernsthaft wie amüsant. Es greift mutig ein oft verdrängtes Thema auf, verbindet intelligente Texte mit famoser Musik ohne hörbare Nähte oder billige Effekte. Ein Stück mit Lokalkolorit, aber jenseits von Heimat-Postille – und insofern zum Nachspielen bestens geeignet. Das Publikum hält es beim tosenden Schlussapplaus nicht auf den Sitzen. 


Musikalische Leitung: Mathias Mönius • Regie: Peter Lund • Choreografie: Bart De Clercq • Bühne: Ulrike Reinhard • Kostüme: Daria Kornysheva • Licht: Florian Bajer • Sounddesign: Nikolay Schröder und Vladimir Karadjov • Chorleitung: Francesco Damiani • Mit: Thorsten Tinney (Gustav G. Hardorp), Annette Blazyczek (Elsbeth Wessling), Sandra Leitner (Franziska Hinkler), Brigitte Bauma (Emma Puhlmann), Patrik Cieslik (Michael Brandt), Nikos Striezel (Heinrich „Henne“ Krüger), Franziska Pfalzgraf (Anneliese Stratmann), Heiner Junghans (Carl Vogel), Torsten Lück (Ein US-Sergeant) • Ballett, Opernchor und Symphonisches Orchester des Landestheaters Detmold

Aufmacherfoto: Landestheater Detmold/Jochen Quast

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