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Rachel Zegler Eva Peron cast of Evita. Credit Marc Brenner. 00702 | MUSICAL TODAY

Evita

In der Arena

Jamie Lloyd inszeniert „Evita“ als überwältigendes Event-Spektakel

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Venue
West End (The London Palladium)
by
Andrew Lloyd Webber (Musik)
Tim Rice (Liedtexte)
Direction
Jamie Lloyd
World premiere
1978

Die Neuinszenierung von „Evita“ ist das Theaterereignis des Londoner West Ends in diesem Sommer. Das liegt natürlich auch an dem Menschenauflauf, der sich regelmäßig in der Argyll Street zusammenfindet, weil dort die berühmte Balkon-Szene zu sehen und zu hören ist, die nicht innerhalb, sondern außerhalb des Theaters zur Darbietung gebracht wird. Theaterbegeisterte pilgern in Massen zum London Palladium Theater und diskutieren mit Leidenschaft über Sinn oder Unsinn einer solchen Regieidee. Dass ein solcher Effekt im Zusammenhang mit einem Werk entsteht, das vor annähernd 50 Jahren seine Uraufführung hatte, grenzt fast schon an ein Wunder und spricht zum einen für den wieder mal erfolgreichen konzeptionellen Wagemut von Regisseur Jamie Lloyd und zum anderen für die Qualität des Materials: Welchen Geniestreich Komponist Andrew Lloyd Webber und Autor Tim Rice seinerzeit abgeliefert haben, wird in dieser Produktion nochmals mehr als deutlich.

Ein weiterer Grund für die riesige Aufmerksamkeit, die der Show entgegengebracht wird, ist die Produktion selbst: Noch nie hat man „Evita“ so gesehen. Jamie Lloyd setzt das Werk mit den Stilmitteln und der Wucht eines Arenakonzerts in Szene. Übergroße Buchstaben, die im oberen Bühnenbereich den Namen „Evita“ bilden, ein großer Bildschirm, der bei Bedarf herabgefahren wird, sowie einige wenige Stufen bestimmen das Set. Es gibt noch nicht einmal ansatzweise den Versuch, eine Örtlichkeit szenisch darzustellen. Dieser Minimalismus von Bühnenbildnerin Soutra Gilmour schafft Raum für Fabian Aloises überbordende und explosive Choreografie, die dynamisch, mitreißend und sexuell aufgeladen ist. Vervollständigt wird das Arena-Konzept durch Jon Clarks atemberaubend gutes Lichtdesign: Dieses setzt Eva Perón wie einen Superstar in Szene – schon ihr erstes Erscheinen auf der Bühne geht einem durch und durch. Zudem setzt es äußerst kluge Akzente, indem es ganz gezielt auf einzelne Textzeilen eingeht und diese hervorhebt. Auch bei den Kostümen ist ausschließlich Neues zu sehen: Eva trägt Shorts und Leder-BH, lediglich für ihre publikumswirksamen Auftritte legt sie das ikonische Kleid an und trägt hierzu eine blonde Perücke.

Diese Inszenierung ist aufregend neu, überwältigend und spektakulär. Aber eines ist sie nicht: berührend. Jamie Lloyd kennt kein Erbarmen mit dem Mädchen aus einfachsten Verhältnissen, das dem Regime von Nazi-Verehrern ein Gesicht zum Verlieben gab. Das Theaterpublikum wird bei der Balkon-Nummer „Don’t Cry for Me Argentina“ über Livestream Zeuge eines flüchtigen und berechnenden Blicks von ihr in die Kamera, der den Zuschauern auf der Straße verborgen bleibt und der signalisiert, dass es sich hierbei um nichts anderes als die Manipulation von Menschenmassen handelt, um Populisten-Handwerk also. Diesen Ansatz verfolgt das Regiekonzept in bemerkenswerter Radikalität: Eva wird als rücksichtslose Opportunistin mit stählernem Willen gezeigt; sie lässt sogar kleine Kinder dafür bezahlen, damit sie ihr als „Santa Evita“ huldigen. So jemanden kann man nicht mögen. Gleiches gilt für ihren Ehemann Juan Perón, der schon wieder eine neue Geliebte hat, als Eva noch im Sterbebett liegt und an ihrem Vermächtnis bastelt.

Die außergewöhnlich junge Besetzung folgt dem übergeordneten strategischen Ziel Webbers, junge Publikumsschichten für seine klassischen Werke zu erschließen. Sämtliche Darstellerinnen und Darsteller sind jung, attraktiv und voller Energie. Rachel Zegler in der Titelrolle singt und spielt fantastisch: Mit Biss und Schärfe stellt sie die Entwicklung Eva Peróns heraus, die mit Kalkül und Rücksichtslosigkeit ihren Karriereplan verfolgt. Zegler ist die Leading Lady und der Star der Produktion, wenngleich ihr Diego Andres Rodriguez als charismatischer Che gesanglich und darstellerisch in nichts nachsteht. James Olivas gibt Juan Perón als kaltherzigen Soziopathen. Aaron Lee Lambert ist ein stimmstarker Magaldi und Bella Brown als aussortierte Geliebte Peróns begeistert mit einer fabelhaften Interpretation von „Another Suitcase in Another Hall“. Ein großartiges Theater-Event, über das man noch lange reden wird.


Musical Supervision und Musikalische Leitung: Alan Williams • Choreografie: Fabian Aloise • Ausstattung: Soutra Gilmour • Licht: Jon Clark • Sounddesign: Adam Fisher • Mit: Rachel Zegler (Evita Perón), Diego Andres Rodriguez (Che), James Olivas (Juan Perón), Aaron Lee Lambert (Agustín Magaldi), Bella Brown (The Mistress) u.a.

Aufmacherfoto: Marc Brenner

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