HOMMAGE AN UDO JÜRGENS - „Helden, Helden“, sein einziges Musical - HIER LESEN

Helden, Helden

Oder doch eine Operette?

„Helden, Helden“ ist das einzige „richtige“ Musical aus der Feder von Udo Jürgens. Dass es heute weitgehend vergessen ist, liegt vielleicht auch daran, dass es gar kein Musical ist

In diesem Jahr wäre der österreichische Sänger und Komponist Udo Jürgens 90 Jahre alt geworden. Wer im Zusammenhang mit seinem Namen den Begriff „Musical“ in einer bekannten Internet-Suchmaschine eingibt, stößt erwartungsgemäß auf das 2007 in Hamburg uraufgeführte „Ich war noch niemals in New York“, das bis heute in Deutschland, Österreich, der Schweiz und sogar in Japan (ja wirklich!) große Erfolge verzeichnet. Mehr als vier Millionen Besucher haben dieses Stück mit Hits von Udo Jürgens gesehen, es wurde vielfach ausgezeichnet und erhielt Bestnoten von Besuchern und Kritikern. Seinem ersten, heute weitgehend unbekannten Musical war das leider nicht vergönnt: Unter dem Titel „Helden, Helden“ wurde 1972 eine Satire gegen Krieg und Heldentum am Theater an der Wien aus der Taufe gehoben – die aufgrund mehrerer unglücklicher Umstände recht schnell wieder in den Schubladen des Verlags verschwand.

An der öffentlichen Wahrnehmung lag das sicher nicht, eher im Gegenteil: Allerlei Prominenz erschien am 27. Oktober 1972 zur „Galapremiere anlässlich des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen“ – sogar der österreichische Bundespräsident. Udo Jürgens hatte gerade eine erfolgreiche Mammut-Welttournee hinter sich gebracht, der Publikumszuspruch war erwartungsgemäß groß. Und so fanden bis Oktober 1973 stolze 130 Aufführungen von „Helden, Helden“ statt – übrigens fast so viele wie von der Erfolgsproduktion „My Fair Lady“ drei Jahre zuvor. Parallel erlebte das Stück am 23. Februar 1973 seine Deutschlandpremiere im Operettenhaus Hamburg, im Oktober 1973 zog das Stadttheater Luzern nach. Auch in der DDR wurde es ab Oktober 1975 in der Musikalischen Komödie Leipzig aufgeführt, 1978 dann im Theater Stralsund.

Ein Anti-Kriegs-Stück mit 19 Songs

Das Musical in zwei Akten basiert auf dem Schauspiel „Arms and The Man“ („Helden“) des irisch-englischen Dramatikers George Bernard Shaw aus dem Jahr 1894. Die Handlung – und in Anlehnung daran das folkloristisch-gefärbte musikalische Thema – spielt im Balkan, in einer kleinen bulgarischen Stadt. Es herrscht Krieg zwischen Bulgaren und Serben. Raina wartet mit Mutter Katharina auf die Rückkehr ihres Verlobten, des siegreichen, bulgarischen Kavalleriemajors Sergius Saranoff – ein „wahrer Held“ in den Augen seiner Braut. Zufällig flieht ein Offizier der besiegten Serben in Rainas Heimatort und versteckt sich in deren Schlafzimmer. Sie hat Mitleid mit ihm und er erzählt ihr, dass lediglich ein Zufall den Verlobten zum Triumph führte: Die eigenen Kanonen hatten wegen eines Fehlers beim Nachschub keine funktionierende Munition mehr. Nur so überlebten Sergius und sein Regiment die wahnwitzige Attacke. Der Flüchtende selbst stellt sich Raina als Schweizer Hauptmann Bluntschli vor, Söldner der serbischen Armee. Aus seiner Abneigung gegen den Krieg als solchem macht er keinen Hehl und entzaubert mehr und mehr das soldatische Heldentum. Raina versorgt ihn und gibt ihm für seine Heimreise eine Jacke mit auf den Weg. Nach Ende des Krieges kommt Bluntschli noch einmal in den Ort, um diese zurückzugeben. Raina spürt jetzt, dass sie sich mehr zu ihm hingezogen fühlt als zu ihrem (nun) Ehemann Sergius, und die beiden finden zusammen. Sergius wird parallel dazu glücklich mit Magd Louka: eine Win-Win-Situation also …

Insgesamt besteht „Helden, Helden“ aus 19 Songs und sowohl die Wiener als auch die Hamburger Produktion erschienen damals auf Schallplatte. Nicht alle Titel hat Udo Jürgens speziell für das Musical komponiert: Zwei wurden bereits 1966 von der Opernsängerin Anneliese Rothenberger mit anderem Text aufgenommen. Das Lied „So wie die Sonne für alle scheint“ wurde zu „Wenn ich die Zarin von Russland wär“ und „Wie schön ist diese Welt“ heißt im Musical „Wie nennt man das Gefühl“. Letzteres muss Jürgens besonders gut gefallen haben, denn er hat es 1972 selbst eingesungen und auf seinem Album „Ich bin wieder da“ veröffentlicht. Auf der gleichen Platte erschien auch „Daheim“, beide Melodien wurden auf einer Promotion Single im Vorfeld der Musicalpremiere auch als Instrumentalversionen veröffentlicht.

Seltsame „Erfolgs-Pleite“

Der damalige Direktor des Theaters an der Wien, Rolf Kutschera, galt als Musicalpionier. Er wollte unbedingt eine erfolgreiche, deutschsprachige Eigenproduktion auf die Bühne bringen, die es mit den amerikanischen Musicals dieser Zeit aufnehmen konnte. Bereits 1968 übernahm er deshalb von Kinoproduzent Peter Goldbaum den Stoff von „Helden“ und plante, aus dem gleichnamigen Filmerfolg mit O. W. Fischer eine Bühnenfassung zu machen. Er besorgte sich die Rechte von George Bernard Shaws Erben und wollte Udo Jürgens als Komponisten gewinnen, dessen Karriere zwei Jahre nach dem Gewinn des Grand Prix Eurovision de la Chanson 1966 von Erfolg zu Erfolg eilte. Der Coup gelang, denn für Jürgens kam die Anfrage wohl genau zum richtigen Zeitpunkt. Er spielte damals selbst mit dem Gedanken, sich im Musical auszuprobieren. Kutschera engagierte den Schweizer Hans Gmür (Buch) und die Liedtexter Eckart Hachfeld und Walter Brandin, als Arrangeure verpflichtete man András Bágya und Karl Kowarik vom Orchester des Theaters an der Wien. Die musikalische Leitung lag bei Johannes Fehring und Robert Opratko.

Nach einer anscheinend hektischen Probenzeit fand die Premiere vier Jahre später statt, neben der Musik von Udo Jürgens feierte die Wiener Presse vor allem Hauptdarsteller Michael Heltau in der Rolle des Bluntschli. Der stand schon früh fest, aber auch der bekannte Publikumsliebling Peter Alexander war im Gespräch – ein weiteres Signal dafür, wie „groß“ man plante. Weitere Mitglieder der Wiener Besetzung waren u.a. die Opernsängerin Irmgard Seefried als Katharina, Gabriele Jacoby (Raina), Julia Migenes (Louka) und Ossy Kolmann sowie alternierend Kurt Sobotka (Nicola). Später in der Hamburger Produktion verkörperte Paul Hubschmid den Bluntschli, Marianne Schubart war Katharina, Gabriele Jacoby erneut die Raina und Julia Migenes die Magd Louka. Die Hamburger Inszenierung übernahm Karl Vibach, musikalischer Leiter war dort Fritz Giesler.

Insgesamt war die Kritik für „Helden, Helden“ eher negativ, mit der folkloristischen, operettenklischeeartigen Komposition konnte man Anfang der 1970er Jahre so gar nichts anfangen. Der SPIEGEL schrieb von einer „seichten Balkankomödie“ und von „Udos Allerweltsmusik“, die ZEIT („Wolf im Shaw-Pelz“) von Balkanfolklore, forscher Zirkusmusik und „Operetten Ohnsorg“. Udo Jürgens konnte diese heftige Kritik nicht unbeeindruckt lassen, ihn dürfte der Publikumszuspruch daher umso mehr gefreut haben. In seiner Autobiografie „Smoking und Blue Jeans“ beschreibt er Anfang der 1980er Jahre, wie er noch fast ein Jahrzehnt später mit mulmigem Gefühl daran zurückdenkt, in Wien „einen Riesenerfolg und eine Niederlage zugleich“ erlebt zu haben. Man habe wohl eher „rockige, rauschhafte Kompositionen“ erwartet, wie sie Andrew Lloyd Webber für „Jesus Christ Superstar“ ablieferte, oder – im Sinne des Zeitgeistes – etwas à la „Hair“, konstatiert er. Und: „man hätte wohl besser davon gesprochen, eine Operette zu komponieren“.

Gut möglich, dass er mit dieser Aussage den Kern dieser seltsamen „ErfolgsPleite“ getroffen hat. Denn vor allem im Hinblick auf musikalische Stilmittel und Besetzung ist „Helden, Helden“ dem Genre Operette weitaus näher als der Gattung Musical – entsprechend verquer deshalb wohl auch die Reaktionen auf das Ergebnis. Denkbar wäre aber auch ganz banal, dass man direkt nach der großen Tournee „Udo 70“ der Person Udo Jürgens medial „überdrüssig“ war. Denn wie sonst kann man sich den (übertriebenen) Hohn der 150 anwesenden Premierenjournalisten erklären, die den österreichischen Bundespräsidenten ziemlich pietätlos und öffentlich zum „Marketing-Gag“ degradierten?

(Redaktionelle Bearbeitung: Iris Steiner)


Aufmacherfoto: brandstaetter images/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Print-Ausgabe 01/2024.

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