„La Cage aux Folles“ überzeugt durch eine starke Besetzung
Es gibt Musicals, die haben eine so kraftvolle Dramaturgie und Aussage, dass man ihnen als Kreativteam einfach nur die Ehre erweisen und die Bühne bereiten sollte – ohne zu viele eigene Impulse setzen zu wollen. „Ein Käfig voller Narren“ gehört dazu. Und so macht Regisseur Matthew Wild alles richtig und fügt am Staatstheater Kassel keine weitere Interpretation hinzu, wie etwa zuletzt bei seinem „Tannhäuser“ in Frankfurt.
Bei der Uraufführung 1983 war es alles andere als normal, ein homosexuelles Paar auf die Bühne zu bringen. Auch heute noch passt dieses Musical, das seine Kraft aus dem Buch von Harvey Fierstein zieht, gut in die Zeit. Die Songs von Jerry Herman klingen auf der einen Seite altmodisch, machen aber, von einem großen Orchester gespielt, schlicht und einfach Freude. Peter Schedding leitet das Staatsorchester und kitzelt vor allem in den Soli facettenreiche Momente heraus. Insgesamt treibt er immer wieder zur großen Geste an und bringt den notwendigen Schwung in die Sache. Die mittlerweile geläufige Neuübersetzung von Martin G. Berger ist gelungen, auch wenn einige Songtexte für langjährige Fans nach wie vor gewöhnungsbedürftig bleiben – zu ikonisch ist etwa das „Ich bin, was ich bin“.
Bühnenbildner Sebastian Hannak bringt alles auf die Bühne, was man sich in diesem Stück wünscht. Links und rechts neben dem Orchestergraben sind die Künstlergarderoben. Ein rot angestrahlter Vorhang dient mal als Abtrennung zur Bühne auf der Bühne und zeigt dann wieder den Blick aus dem Backstagebereich. In den Showszenen prägt ein Glitzervorhang die Szenerie, ergänzt durch kleine Treppenpodeste, und am Ende ein Tor aus Glühbirnen. Hier hätte man sich eine etwas luxuriösere Optik gewünscht und eine bessere Unterstützung durch das Licht (Christian Franzen). Die Drehbühne verwandelt die große Spielfläche des Opernhauses mal in das in silbernem Marmor ausgestattete Wohnzimmer, dann in das typisch französische Straßencafé und die Garderobe von Zaza.
Grandios ist das überwiegend aus Gästen bestehende Ensemble. Schade einerseits, dass es nicht aus dem Haus besetzt wurde – gerade die Hauptrollen sind immer eine fantastische Chance für bekannte Namen aus dem Ensemble. Aber auf der anderen Seite haben sich die Sehgewohnheiten geändert und es gibt immer seltener musicalerfahrene Opernsänger an Häusern wie in Kassel. Und so holte man einfach die Besten, für Albin/Zaza etwa den überwältigenden und erfahrenen Adrian Becker. Immer wieder verändert er die Fallhöhe, huscht mal tuntig mit Puschen über die Bühne und verwandelt sich dann sehr emotional in Zaza. Er spielt die Rolle voller Witz und Ehrlichkeit, Moral und Freiheit. Georges ist gewiss nicht leicht zu porträtieren und wird von Livio Cecini einfach nur grandios interpretiert. Man könnte dem Paar noch Stunden zusehen und ihre Liebe feiern.
Jean-Michel ist in der Interpretation von Merlin Fargel sehr präsent, gesanglich setzt er mit Leonie Dietrich (Anne) Glanzpunkte. Die Zofe Jacob ist eine Paraderolle für Fausto Israel, der die Zuschauer in jeder Sekunde auf seine überdrehte Seite zieht. Als Edouard Dindon überzeugt Bernhard Modes aus dem Kassler Ensemble, ebenso Ingrid Fröseth als seine Frau. In weiteren Rollen begeistern uneingeschränkt Maximilian Aschenbrenner als Chantal, Leopold Lachnit als Hannah und Clara Marie Hendel als Angelique. Auch wenn das Timing bei den Cagelles (Melissa Laurenzia Peters, Thiago Fayad, Giovanni Corrado, Janina Steinbach, Clara Schönberner, André Leander Bertholdt, Philipp Faustmann und Lena Poppe) in den Sprechpassagen nicht bei jeder Pointe zündet, so ist die Choreografie von Louisa Talbot effektiv und schafft in den faszinierenden Kostümen von Conor Murphy wunderbare Szenen.
Die Reise nach Kassel lohnt sich für eine hervorragend zusammengestellte Cast und eine Regie, die die Erwartungshaltung an dieses Stück einfach gut erfüllt – Unterhaltung mit berührendem Tiefgang.
Musikalische Leitung: Peter Schedding • Choreografie: Louisa Talbot • Bühne und Video: Sebastian Hannak • Kostüme: Conor Murphy • Licht: Christian Franzen • Mit: Adrian Becker (Albin/Zaza), Livio Cecini (Georges), Merlin Fargel (Jean-Michel), Fausto Israel (Jacob), Leonie Dietrich (Anne), Bernhard Modes (M. Renaud/Edouard Dindon), Ingrid Fröseth (Mme. Renaud/Marie Dindon), Maximilian Aschenbrenner (Chantal), Leopold Lachnit/Alessandro Ripamonti (Hanna), Clara Marie Hendel (Angelique/Jaqueline), Melissa Laurenzia Peters (Dermah), Thiago Fayad/Alessandro Ripamonti (Mercedes), Giovanni Corrado (Phaedra), Janina Steinbach (Francis/Fischer), Clara Schönberner (Paulette/Babette), André Leander Bertholdt (Hercule), Philipp Faustmann (Etienne), Lena Poppe (Colette), Camilla Colonna (Tabarro) u.a. • Staatsorchester Kassel
Aufmacherfoto: Sylwester Pawliczek_MACHMAMACHMA