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Anatevka

Tradition und Vergehen

oRT
Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg
von
Jerry Bock (Musik)
Joseph Stein (Buch)
Regie
Gil Mehmert
Uraufführung
1964

Gil Mehmert inszeniert „Anatevka“ – ein Plädoyer für die Menschlichkeit

Das Grand Théâtre der Stadt Luxemburg koproduziert sehr oft Stücke mit anderen Theatern, weil man so den Zuschauern eine gewisse Qualität anbieten und gleichzeitig die Produktionskosten senken kann. In Sachen Musical bleibt „Kiss Me, Kate“ aus dem Jahr 2016 in guter Erinnerung, eine Allianz mit dem Pariser Theâtre du Châtelet. Nicht weniger beeindruckend gerät nun „Anatevka“ in Zusammenarbeit mit dem Saarländischen Staatstheater. Der hoch versierte Musical-Regisseur Gil Mehmert konnte für die Regie gewonnen werden, ebenso Choreograf Bart De Clercq. Beide wissen, wie sie den Schauspielern und Tänzern das Beste abverlangen können. So spielen alle ihre großen oder kleinen Rollen mit Disziplin und absoluter Überzeugung.

Enrico De Pieri agiert diesmal in einer ernsten Rolle, nachdem er u.a. mit Dschinni in „Aladdin“ oder Onkel Fester in „Die Addams Family“ lustige Figuren spielte. Er ist der Milchmann Tevje, der hin und her gerissen ist zwischen den jüdischen Traditionen im Dorf Anatevka und den Wünschen seiner drei ältesten Töchter Zeitel, Hodel und Chava in Sachen Liebe und Heirat. Tevje führt auf seine eigene Art und Weise anrührende Zwiegespräche mit Gott und macht diesem mehr Vorwürfe, als ihn zu loben, zum Beispiel, weil er ihn in Armut leben lässt. De Pieri nuanciert gekonnt die Stimmungen, die in diesen Gesprächen liegen, verbindet Witz, Sarkasmus und Gefühle authentisch. Er bringt die Zuschauer mit seinen Fragen an Gott oder Überlegungen zu den Wünschen seiner Töchter zum Lachen. Darüber hinaus weiß er auch zu bewegen: etwa, als er Hodel am Bahnhof Adieu sagt, oder nachdem er Chava seine Einwilligung zur Ehe mit dem Christen Fedja verweigert hat und ihr dennoch seinen Segen gewährt. Zum Schluss müssen die Juden ihr Dorf verlassen, weil sie in Russland nicht mehr geduldet sind – ein weiterer emotionaler Höhepunkt.

An De Pieris Seite steht Christiane Motter, die seit 2002 dem Ensemble in Saarbrücken angehört. Sie spielt gekonnt eine bescheidene Golde, die ihrem Mann eine gute Frau und ihren Töchtern eine gute Mutter ist. Motter hat eine schöne und klare Stimme, die besonders beim Song „Ist es Liebe?“ hervorsticht. Golde ist abergläubig, und so kann Tevje ihr mit einem imaginären Traum klarmachen, dass Zeitel unbedingt den Schneider Mottel Kamzoil heiraten muss. Bei dieser Traumszene sitzt Chava-Darstellerin Annika Steinkamp auf einem Gerüst, über ihr schwebt das riesige Antlitz von Fruma-Sara, der verstorbenen Frau des Fleischers Lazar Wolf. Mit diesem angsteinflößenden Albtraum kann Tevje seine Frau vom Schneider überzeugen.

Jens Kilian hat diese fast anachronistische Puppe entworfen, die zwei riesige, umhergreifende Hände hat. Sein eindrucksvolles Bühnenbild besteht aus drei Häusern, die mittels Drehscheibe rotieren und je nach Ausschnitt das Wohnzimmer, Schlafzimmer, den Stall oder ein Gasthaus hergeben. Somit wird der Lauf der Geschichte nicht durch Umbauten unterbrochen.

Bart De Clercq hat sich an die Vorlagen von Original-Choreograf Jerome Robbins gehalten. Großartige Momente sind die Ouvertüre „Tradition“ und der legendäre „Flaschentanz“, der anlässlich der Hochzeit von Zeitel und Mottel getanzt wird. Insgesamt ist diese neue, von Gil Mehmert sorgsam austarierte Produktion des Musical-Klassikers unbedingt sehenswert: ein Plädoyer für die Liebe, inneren Wandel, Respekt und Toleranz gegenüber anders gesinnten Menschen.


Musikalische Leitung: Justus Thorau • Bühne: Jens Kilian • Kostüme: Claudio Pohle • Choreografie: Bart De Clercq • Licht: Michael Heidinger • Chor: Jaume Miranda; Mit: Enrico De Pieri (Tevje), Christiane Motter (Golde), Nina Links (Zeitel/Oma Zeitel), Bettina Maria Bauer (Hodel), Annika Steinkamp (Chava/Fruma-Sara), Eva Kammigan (Jente), Max Dollinger (Mottel Kamzoil), Nico Hartwig (Perchik), Stefan Röttig (Lazar Wolf), Martin Planz (Moschach), Algirdas Drevinskas (Rabbi), Chadi Yakoub (Mendel), Johannes Summer (Awram), Harald Häusle (Nachum), Alexandra Didié (Schandel), Pitt Simon (Wachtmeister), Juri Menke (Fedja), Andrew Chadwick (Sascha), Wolfgang Mertes (Der Fiedler) u.a. Opernchor des Saarländischen Staatstheaters, Saarländisches Staatsorchester

Aufmacherfoto: Martin Kaufhold

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