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StaatstheaterNuernberg 2024 25 Oper La Cage aux Folles Ludwig Olah 018 | MUSICAL TODAY

La Cage aux Folles

Ein Käfig voller Verkennungen

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Staatstheater Nürnberg
von
Jerry Herman (Musik und Gesangstexte)
Harvey Fierstein (Buch)
Regie
Melissa King
Uraufführung
1983

„La Cage aux Folles“ bleibt trotz großer Spielfreude zu oberflächlich

Der Musical-Klassiker „La Cage aux Folles“ ist politisch. Es geht um Familie, Liebe, Partnerschaft und darum, wer in der Gesellschaft über die Deutungshoheit dieser Werte verfügt. Und dennoch kommen Spaß und gute Unterhaltung nicht zu kurz.

St. Tropez, Anfang der 70er: Georges und sein Partner Albin betreiben gemeinsam einen Travestieclub, in dem Albin als Zaza der Star ist. Jean-Michel, der gemeinsam großgezogene Sohn, will Anne, die Tochter des konservativen Politikers Dindon, heiraten. Fürs Kennenlernen der Familien soll Ziehvater Albin versteckt und stattdessen die biologische Mutter eingeladen werden. Wer sind die „echten“ Eltern? Wie viel Vielfalt hält die Gesellschaft aus? Wie sehr muss sich die LGBTIQIA+-Community verstecken? Hochpolitische Fragen, mit denen sich die neue Inszenierung am Staatstheater Nürnberg beschäftigen könnte.

Stattdessen setzt Regisseurin und Choreografin Melissa King leider fast ausschließlich auf maßlose Überzeichnung, Klamauk und wenig Tiefgang, was für Distanz statt Identifikation sorgt. Da die Personenführung häufig fehlt, wirken Dialoge und Konflikte gestelzt. Wenn Jean-Michel in bunten Sportklamotten und Cappy aussieht wie ein 12-Jähriger, ist sein „Ich möchte heiraten“ grotesk. Anne als kreidebleiches Goth-Mädchen bzw. Wednesday- oder „Addams Family“-Anspielung schafft eine viel zu große Diskrepanz zu ihren AfD-Eltern. Statt Identifikationspotenzial mit diesem „Normalo-Paar“ stehen das Schrille und Ausgestellte im Fokus.

Auch die Ausstattung von Stephan Prattes geht nicht auf. Tapete und Anzüge mit Penissen und Vulven, viel Plastik und Plüsch, ein riesiger goldener Penis, der ständig die Bühne dominiert, aber nie wirklich bespielt wird, in Plastik-Fummeln verhüllte Cagelles zu Beginn, eine Möwe in einem Bullauge und ein eindimensionaler Kronleuchter wirken lustlos zusammengewürfelt und unnötig überzeichnet. Albins weiße Anzüge hingegen unterstreichen stilvoll die Bedeutung der Szenen – zum Showstopper „Ich bin, was ich bin“ mit Schleppe. Die bunten Outfits der Pride-Protest-Einlage inkl. EU-Sternen in Regenbogenfarben im Bühnenbild stützen den Regieeinfall zum Schluss: Regenbogenflaggen aus den Rängen, Aufgänge durchs Publikum mit Flyerverteilung für den Nürnberger CSD, die Cagelles flaggenschwingend als Protestierende und Georges, der durch ein Megafon singt – eindrucksvoll zeigt King an dieser Stelle, dass der Kampf um Gleichberechtigung und Anerkennung topaktuell ist. Ein „Liebe für alle“-Sprechchor zerstört diese kunstvoll dezente und gleichzeitig glasklare Szene jedoch erneut mit unnötiger Plakativität. Als Choreografin kann King eher überzeugen, vor allem mit der Stepp-Einlage zu Beginn. Die tänzerische Präzision ist bemerkenswert, auch in der Trampolin-Nummer, die als solche jedoch kontextlos irritiert – ebenso die zugehörigen Kostüme im Stil von „Kill Bill“ trifft „Pumuckl“.

Trotz Regie-Wirrwarr versprühen die Darstellenden eine enorme Spielfreude – allen voran Terry Alfaro, der einen virtuos-durchgeknallten Jacob zum Besten gibt. Martin Berger ist der emotionale Höhepunkt des Abends und berührt mit seinem differenzierten Spiel sowie seiner warmen und emotionalen Stimme: eine brillante Georges-Darstellung. Auch Gaines Hall erfreut spielerisch – vor allem in „Ich bin, was ich bin“ und „Die schönste Zeit ist heut“ reißt er auch stimmlich mit. Dem Duo Fabio Kopf (Jean-Michel) und Anna Hirzberger (Anne) sieht und hört man gerne zu. Thorsten Tinney überzeugt als durchgeknallt faschistoider AfDler Dindon, Kira Primke als dessen Frau ist spielerisch eine Freude, gesanglich leider schrill. Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter Leitung von Jürgen Grimm liefert eine beschwingt-solide Leistung, wenn auch manchmal mit Tempo- und Intonationsschwierigkeiten. Die Spielfreude lässt darüber hinwegsehen.

Schade, dass „La Cage aux Folles“ in Nürnberg als bloßes „Unterhaltungsstück“ verkannt wird – dabei haben King und Prattes 2022 an der Wiener Volksoper mit einer ausgewogenen und tief bewegenden Inszenierung schon mal gezeigt, wie viel mehr möglich ist.


Musikalische Leitung: Jürgen Grimm • Regie und Choreografie: Melissa King • Ausstattung: Stephan Prattes • Licht: Michael Grundner • Sounddesign: Dominic Jähner und Federico Gärtner Gutierrez • Mit: Martin Berger (Georges), Gaines Hall (Albin), Terry Alfaro (Jacob), Fabio Kopf (Jean-Michel), Anna Hirzberger (Anne Dindon), Thorsten Tinney (Edouard Dindon), Kira Primke (Marie Dindon), Alan Byland (Hannah), Anneke Brunekreeft (Phädra), Johan Vandamme (Chantal), Rhys George (Mercedes), Alessandro Ripamonti (Jenny Thalia), Ellie van Gele (Madame Ovary), Jan Eike Majert (Doris Klitoris), Christopher Bolam (Violet van der Vulva), Elisabeth Kuck (Jacqueline), Tobias Link (Francis), Maximilian Vogt (M. Renaud), Xiao Liu (Mme. Renaud), Schirin Hudajbergenova (Colette), Julian Acht (Etienne) u.a. • Staatsphilharmonie Nürnberg

Aufmacherfoto: Staatstheater Nürnberg/Ludwig Olah

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