Pressefoto Seemannsgarn 4 Seemannsgarn | MUSICAL TODAY

Seemannsgarn

Die Comedian Harmonists auf der Reeperbahn

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Ort
Schauspielbühnen in Stuttgart (Altes Schauspielhaus)
VON
Franz-Lorenz Engel (Buch)
Florian Fries und Michael Rapke (Arrangements)
Regie
Frank-Lorenz Engel
Uraufführung
2024

„Seemannsgarn“ ist eine wunderbar gesungene, aber viel zu harmlose Revue

Vor fünf Jahren trafen sie im viel gespielten „Comedian Harmonists“-Klassiker von Gottfried Greiffenhagen und Franz Wittenbrink zum ersten Mal aufeinander, seitdem wurden die fünf Sänger und Pianist Florian Fries an den Stuttgarter Schauspielbühnen schon mehrfach wiedervereint – jetzt mit einer Duftnote, die den Vorbildern aus den 1920er Jahren ein wenig zu pathetisch und treudeutsch gewesen sein dürfte, nämlich auf der Reeperbahn. Die wunderbaren Sänger Tobias Hagge, Lénárd Kókai, Michael Rapke, Tobias Rusnak und Loïc Damien Schlentz entpuppen sich zwar immer stärker auch als feinsinnige Schauspieler, aber eigentlich hätte man ihnen etwas Gehaltvolleres und Bissigeres gewünscht als diese nette, zuverlässige Seemanns-Revue, die Erwartungshaltungen erfüllt, anstatt sie herauszufordern.

Es ist das letzte Weihnachtsfest in der Hafenklause, der taffen Wirtin Maria wurde gekündigt. Ihre studierende Tochter hängt aushilfsweise die Deko auf, da schneien nacheinander drei Schiffsleute, ein Stammgast und ein Tourist herein, die an Heiligabend „ein wärmendes Gefühl von Heimat“ suchen. Am Ende finden sich drei Paare, darunter der Smutje und der Schiffsmechaniker, die Tochter erfährt endlich, wer ihr Vater ist, ein Dieb bereut seine Taten und die Wirtin kann doch in ihrer Kneipe bleiben.

Das Buch stammt von Regisseur Frank-Lorenz Engel, dessen Dialoge manchmal ein wenig geschraubter klingen, als es in einer Hafenkneipe zugeht. Auch dreht die Hinführung zu den Songs zuweilen waghalsige dramaturgische Kurven. Ungemein detailverliebt hat Beate Zoff die warmen Holzwände der Hafenklause mit Bildern, Plakaten, Schiffsmodellen und einem Haufen Krimskrams ausgestattet, die Wirtin glitzert zum Fest im hellgrünen Meerjungfrauenkleid.

Gesungen wird vor allem von der Reeperbahn oder von der See, neben Schlagern wie „La Paloma“ sind auch feinere Melodien wie „La Mer“, Rhythmisch-Peppiges wie der „Wellerman“, Weihnachtliches wie „Adeste fidelis“ und, selten aber immerhin, Nachdenkliches wie die „Enthüllungen einer Striptease-Tänzerin“ von Günter Neumann zu hören. Florian Fries und Michael Rapke haben subtile, perfekt auf die Stimmen der fünf Sänger abgestimmte Arrangements geschrieben, auch mal bluesig oder im ironischen Kabarett-Ton der 1920er, manchmal nur mit Klavier, aber meist mit einer pfiffigen Begleitung aus Akkordeon, Querflöte, Klarinette, Trompete, Akustik- und E-Gitarre sowie einer reichhaltigen Auswahl an Percussion, geschlagen, geschüttelt und gerührt.

Alle sieben Sänger musizieren selbst, Antje Rietz als robuste Wirtin und Birgit Reutter als ihre schlagfertige Tochter stimmen auch in die eleganten Harmoniegesänge der fünf Herren ein, deren Leichtigkeit und blitzender Charme die wesentliche Faszination des Abends ausmachen. Immer wieder wird getanzt, jeder einzelne dieser modernen Comedian Harmonists hat das Talent zum Alleinunterhalter. Ob sie alleine oder gemeinsam singen, mit Tenorkadenzen, Scatgesang, Kopfstimme oder im klassischen Kanon, jedes Lied schwebt in lächelnder Harmonie hinaus und schmeichelt den Ohren. Allein der Versuch, es mit Udo Lindenberg oder gar „Bad“ von Michael Jackson ein wenig dreckiger klingen zu lassen, passt so gar nicht zu den geraden, leichten 20er-Jahre-Stimmen und der feinsinnigen Aufrichtigkeit, ja Sensibilität ihrer Interpreten. 

Natürlich ruft das Mitklatschfinale Begeisterung beim Publikum hervor, im Grunde aber bedient „Seemannsgarn“ viel zu harmlos eine altersmäßig fortgeschrittene Klientel des puren Unterhaltungstheaters. Wehmütig denkt man an den „Tanz auf dem Vulkan“, als Manfred Langner, dem ehemaligen Intendanten des Alten Schauspielhauses, vor ein paar Jahren das Kunststück gelang, die 1920er und die 2020er politisch zündend kurzzuschließen. Über dem aktuellen Feelgood-Abend liegt die Meeresstille einer Freddy-Quinn-Gemütlichkeit.


Musikalische Leitung: Florian Fries • Regie und Choreografie: Frank-Lorenz Engel • Ausstattung: Beate Zoff • Licht: Rainer Hülswitt • Sounddesign: Katharina Fischer und Julian Müller-Enßlin • Mit: Antje Rietz (Maria), Birgit Reutter (Sybille), Florian Fries (Tom), Loïc Damien Schlentz (Marcel), Tobias Rusnak (Thorsten), Tobias Hagge (Paul), Michael Rapke (Lenny), Lénárd Kókai (Lénárd)

Aufmacherfoto: Tobias Metz

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