
„Der Froschkönig“ unterhält mit Lokalkolorit
In Kassel arbeiteten die Brüder Grimm. Hier waren sie Bibliothekare, sammelten für das Deutsche Wörterbuch, hier entstanden eine Vielzahl ihrer Märchen. Eine der Quellen war Familie Wild, die eine Apotheke in Kassel betrieb. Da diese nur zwei Häuser vom Wohnhaus der Grimms entfernt stand, war der Kontakt vorprogrammiert. Er führte nicht nur zu vielen Märchen, wie etwa dem „Froschkönig“ – 1825 wurde Tochter Dorothea auch die Ehefrau Wilhelm Grimms.
200 Jahre später haben Christoph Steinau und Lena Baumgarte für das Brüder Grimm Festival Kassel aus dem Froschkönig ein kurzweiliges Märchenmusical gemacht, das mit vielen regionalen Anspielungen gespickt ist. Schön ist, dass sich das Buch an vielen Stellen eng an das Märchen „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“ hält. Viele kindgerechte Fassungen unterschlagen den treuen Heinrich, der seinen verwunschenen Prinzen nach der Verwandlung in den Frosch begleitet. Nicht so in Kassel, wo man sich ehrlich um eine auch literarisch adäquate Fassung bemüht, die gleichzeitig nie verstaubt ist und für alle Generationen etwas zu bieten hat. Rüdiger Canalis Wandel inszeniert das Stück für die Seebühne im Park Schönfeld heiter und doch mit viel Herz und Botschaft.
Königin Agathe II. von Bruchköbel-Hanau (liebenswert überzeichnet von Inge Jamry) ist mit ihrem Gefolge auf Sommerfrische in einem heruntergekommenen Sommersitz. Mit dabei ist auch Hofdame Erna Eisenkeil – Annabelle Nebe ist diese Rolle der gewissenhaften und strengen Haushälterin wie auf den Leib geschrieben. Überdreht witzig, wie in die Halterung ihrer Titanhandprothese wahlweise auch Staubwedel oder andere Werkzeuge passen. Jessica Krüger spielt die junge Prinzessin Clara, die sich so gar nicht mit dem schleimigen Frosch anfreunden kann – zunächst.
Herzogin Huberta von Röhrenfurth (herrlich: Sabine Guth) will ihren Sohn Hubert verkuppeln. Der hat zwar eine Militärausbildung in Hanau genossen, spielt aber sonst lieber mit seinen Zinnsoldaten. Klaus Beyer sorgt für viele Lacher und am Ende auch anrührende Momente, wenn er – Vorsicht Spoiler – ganz freiwillig zum neuen Froschkönig wird, u.a. weil einfach die Luft am Brunnen so wohltuend gegen seine Allergien hilft.
Neben dem Landhaus liegt der Tümpel. Wie passend, denn die Bühne schwimmt auf einem Ponton in einem Teich, den man sich bestens auch im Märchen vorstellen könnte. Hier ist Benjamin Hauschild als König Julius Herr über sein „Froschrudel“ und König der Frösche. Gemeint ist – wunderbarer Einfall – die hervorragende Liveband (Harry Stingl und Léonie Scharfe als musikalische Leiter mit Christian Friedrich Lang und Christian Schneider), die nicht nur musizieren, sondern auch quaken dürfen. Die Frösche lieben laute Musik, wildes Hüpfen, Mücken und ein Bad im Schlamm. Das passt so gar nicht zu den strengen Sitten am Hofe. Wunderbar in ihren Rollen auch die eifersüchtige „Fröschin“ Anja Dorrer und der treue Heinrich alias Adrian Kroneberger.
Seit 2008 gibt es das Brüder Grimm Festival in Kassel. Seitdem steuert Oliver Doerr die Bühnenbilder bei, die einfach eine Augenweide sind. Jedes Jahr überrascht er mit liebevollen Details auf der Seebühne. Die Kostüme von Maria Walter und das Maskenbild von Sarah Manier sind im Adel naturalistisch und bei den Fröschen herrlich überzeichnet, mit Taucherbrille und Sandalen über den grünen Socken. Die Choreografie von Johanna Diez sorgt dafür, dass immer Bewegung auf der Bühne ist und Songs wie „Shut Up“ oder „Livin’ On A Prayer“ meist schwungvoll mit neuen deutschen Texten interpretiert werden. Für komplettes Musical-Feeling würde man sich im Kontrast zu einem „Schauspiel mit Musik“ mehr Reprisen und Instrumentalteile wünschen. Aber auch so bleibt ein unterhaltsamer Sommerabend für 400 Zuschauerinnen und Zuschauer vor märchenhafter Park- und Seekulisse in Erinnerung.
Musikalische Leitung: Léonie Scharfe und Harry Stingl • Regie: Rüdiger Canalis Wandel • Choreografie: Johanna Diez • Bühne: Oliver Doerr • Kostüme: Maria Walter • Maske: Sarah Manier • Mit: Benjamin Hauschild (König Julius), Jessica Krüger (Prinzessin Clara), Annabelle Nebe (Hofdame Erna Eisenkeil), Inga Jamry (Königin Agathe II. von Bruchköbel-Hanau), Sabine Guth (Herzogin Huberta von Röhrenfurth), Adrian Kroneberger, Anja Dorrer, Klaus Beyer • Band: Harry Stingl, Léonie Scharfe, Christian Friedrich Lang, Christian Schneider
Aufmacherfoto: Stephan Drewianka