
„Fascht Normal“ auf dem schmalen Grat zwischen Licht und Dunkel
Mit der schweizerdeutschen Erstaufführung von „Fascht Normal“ (Original: „Next to Normal“) gelingt dem jungen Theater im Seefeld eine berührende, fast intime Produktion. Die Inszenierung des Pulitzer-Preis-gekrönten Musicals erzählt die Geschichte einer Mutter, die an einer bipolaren Störung leidet, und deren Auswirkungen auf ihre Familie.
Regisseur Livio Beyeler hat eine gelungene schweizerdeutsche Übersetzung geschaffen. Sie verleiht dem Stück Authentizität und Nähe. Die Dialoge klingen natürlich und emotional, ohne den musikalischen Fluss zu stören. Im zweiten Akt verliert die Inszenierung etwas an Tempo. Die Videoprojektionen setzen zwar neue Akzente, dynamisieren das Geschehen aber nicht durchgängig. Insgesamt bleibt aber der Eindruck einer sprachlich und dramaturgisch starken Umsetzung. Der kleine Theatersaal und die geschickte Nutzung des Bühnenraums schaffen zudem eine Nähe, die konfrontiert und zu Herzen geht.
Dies umso mehr, als das kleine Ensemble Schauspielkunst mit Tiefgang bietet. Susanne Kunz als Diana beeindruckt mit ihrer Darstellung der bipolaren Mutter. Die Extreme zwischen Euphorie und Verzweiflung meistert sie mit überzeugender Empathie. Ihre tiefen Stimmlagen bestechen durch ein warmes, samtiges Timbre. Flavio Baltermia brilliert als Ehemann Dan zwischen Verdrängung und Hilflosigkeit. Seine stimmliche Präsenz ist kraftvoll und wunderbar dynamisch, sein Spiel berührend und nuanciert. Joel Goldenberger als toter Sohn Gabriel bewegt sich souverän zwischen realer Figur und projiziertem Phantom. Seine Bühnenpräsenz und seine eindringliche Stimme passen ideal zu dieser ambivalenten Rolle. Deliah Stuker als Tochter Natalie und Lucca Kleimann als Henry bilden ein berührendes Gegenpaar zu Diana und Dan. Beide überzeugen schauspielerisch und stimmlich mit perfekter Dynamik und schönem Timbre. Stuker sprüht vor jugendlicher Energie, Kleimann bringt charmante Leichtigkeit in das emotionsgeladene Geschehen. Flavio Dal Molin schließlich verkörpert die verschiedenen Ärzte solide. Allerdings hätte eine abwechslungsreichere äußere Gestaltung seiner Figuren Dianas therapeutische Odyssee noch deutlicher werden lassen.
Was Gabor Nemeth auf der kleinen Bühne erschafft, ist bemerkenswert: Er verwandelt den begrenzten Raum in sieben verschiedene Schauplätze. Die zweigeschossige Konstruktion integriert nicht nur die Spielfläche, sondern auf der oberen Ebene auch die Band. Besonders originell ist der Fadenvorhang. Er trennt den Wohnraum ab und dient gleichzeitig als Projektionsfläche – ein visuell und konzeptionell innovativer Kniff. Überhaupt ist der dramaturgische Einsatz einzelner Bühnenelemente eindrücklich: Das energische Wegstoßen des Bühnenmoduls, das die Arztpraxen darstellt, als Diana sich gegen weitere Therapiemaßnahmen entscheidet, ist eines der starken Bilder, die im Gedächtnis bleiben.
Die Kostüme von Nicola Leibacher unterstützen das Motto des Stückes: Sie sind „fast normal“ – alltäglich und unprätentiös. Die sparsam eingesetzten Choreografien von Debi Kiener – oft im Stil des Robot Dance – fügen sich stimmig in die Inszenierung ein. Das Lichtdesign von Monika Krzesniask spielt eine tragende Rolle: Wechsel zwischen grellen Spots und sanften Übergängen strukturieren die Orts- und Szenenwechsel und unterstreichen Dianas emotionale Befindlichkeiten.
Musikalisch getragen wird das Stück von einer sechsköpfigen Liveband unter der Leitung von Nils Fraser. Sie bewegt sich virtuos zwischen rockigen, jazzigen und melancholisch-verträumten Klangwelten. Die Arrangements sind perfekt auf die emotionale Dramaturgie abgestimmt und unterstützen die Darstellenden, ohne zu dominieren.
Mit „Fascht Normal“ wagt sich das Theater im Seefeld an ein psychologisch vielschichtiges Stück. Getragen von einem tollen Ensemble, einer eindringlichen Inszenierung und einer gefühlvollen musikalischen Umsetzung, entsteht ein Abend, der bewegt und nachwirkt.
Musikalische Leitung: Nils Fraser • Choreografie: Debi Kiener • Bühne: Gabor Nemeth • Kostüme: Nicola Leibacher • Videografie: Elena Astashova und Kamil Goerlich • Lichtdesign: Monika Krzesniask • Sounddesign: Reto Knaus • Mit: Susanne Kunz (Diana), Deliah Stuker (Natalie), Flavio Baltermia (Dan), Joel Goldenberger (Gabe), Flavio Dal Molin (Ärzte), Lucca Kleimann (Henry)
Aufmacherfoto: Helen Ree